Bildverarbeitung

"Das maschinelle und das mensch­liche Lesen wachsen zusammen“

Interview mit MVTec-Geschäftsführer Dr. Olaf Munkelt und dem Technical Product Manager Halcon, Mario Bohnacker

13.04.2021 - Zum Anlass der Veröffentlichung der neuen Halcon-Version 20.11 unterhielt sich Ende des Jahres 2020 David Löh, Chefredakteur der ­inspect, mit MVTec-Geschäftsführer Dr. Olaf Munkelt und dem Technical Product Manager Halcon, Mario Bohnacker. Neben den neuen und überarbeiteten Funktionen der Bildverarbeitungs-Software ging es um die Herausforderungen der Coronapandemie und wie das Münchener Unternehmen sie meistert. Grund­lagen von beidem sind Vertrauen in das eigene Produkt und die Mitarbeiter sowie Optimismus.

inspect: Was ist das Besondere beim Release der Version 20.11 von Halcon?
Mario Bohnacker: Wir haben die Steady- und Progressversion wieder zusammen released, womit alle Kunden nun auf dem gleichen Feature-Stand sind. So können nun auch Steady-Kunden auf alle Neuerungen zugreifen, die wir in den letzten zwei Jahren in der Progress-Edition herausgebracht haben.

inspect: Was sind die Schwerpunkte von Halcon 20.11?
Bohnacker: In Halcon 20.11 ist für jeden Kunden etwas dabei: Zum Beispiel die neue Texterkennungsfunktion Deep OCR, bei der wir Deep Learning einsetzen. Damit wachsen das maschinelle und das menschliche Lesen ein Stück zusammen, sodass unsere Kunden ihre OCR-Anwendung mit einem einzigen Modell gelöst bekommen.

Ein weiteres wesentliches Thema sind neue Codetypen, die wir jetzt lesen können. Wir haben jetzt zum Beispiel den DotCode, der recht häufig in High-Speed-Applikationen zum Einsatz kommt, weil er eben sehr schnell gedruckt werden kann. Außerdem unterstützt Halcon jetzt auch die Rectangle-Extension von Datamatrix-Codes.

Auch beim Shape-based-Matching haben wir für Anwendungen mit verrauschten und kontrastarmen Bildern eine sehr robuste Leserate hinbekommen, ohne dass der Anwender viel an Parametern schrauben muss. Halcon schätzt jetzt viel mehr Parameter automatisch, was das Ganze deutlich nutzerfreundlicher macht.

inspect: Können Sie ein Beispiel geben, bei dem Deep OCR das Lesen von Text ermöglicht, wo es zuvor nicht zuverlässig funktionierte?
Bohnacker
: Bisher war es problematisch, in Metall eingeschlagene Zahlen (Schlagzahlen) auszulesen, weil der Kontrast hier stark variiert. Auch die Helligkeit und die Kanten haben eine hohe Varianz. Man kann sich also nicht beispielsweise auf den Grauwert verlassen. Deep OCR ist hier deutlich robuster und liest diese Zahlen sehr zuverlässig aus.

inspect: Wie nehmen Ihre Kunden die Deep-Learning-Funktionen an?
Bohnacker: Beispielsweise die Anomaly Detection, die bereits in Halcon 20.05 die erste Überarbeitung erfuhr, wurde sehr gut angenommen, weil die Kunden klar sehen: Diese Funktion bedeutet kürzere Einlernphasen, weniger Label-Aufwand durch weniger Bilder. Auch viele Steady-Kunden, die diese Funktion nun mit dem Release 20.11 bekamen, haben sich schon darauf gefreut, weil sie natürlich von uns über die Inhalte der einzelnen Versionen auf dem Laufenden gehalten werden. Auch die Ergebnisse unserer regelmäßigen Kundenumfragen bestätigen das.

inspect: Welche Rolle wird Deep Learning in Version 21.05 spielen?
Bohnacker: Wir verstehen Deep Learning als eines von vielen wichtigen Werkzeugen in unserem Werkzeugkasten Halcon. So gesehen, wird diese Technologie natürlich auch für Halcon 21.05 eine Rolle spielen. Ähnlich wie mit der bereits implementierten Deep OCR haben wir weitere Anwendungen im Blick, bei denen wir sagen: "Ok, hier können wir Deep Learning einsetzen, um die Funktion noch robuster zu machen.“

Das Thema Beschleunigungs-Hardware vor dem Hintergrund Deep Learning wird sich in Halcon 21.05 wiederfinden. Dabei geht es etwa darum, eine Deep-Learning-Anwendung mithilfe eines Beschleunigungschips zum Beispiel auf Embedded-Systemen lauffähig zu machen oder deutlich zu beschleunigen.

Außerdem haben wir auch weiterhin unsere Kerntechnologien im Blick: So wird beispielsweise Shape-based-Matching nutzerfreundlicher.

inspect: Wie organisieren Sie bei MVTec die Arbeit in Zeiten von Corona?
Dr. Olaf Munkelt: Bei uns gilt: Komm rein, wenn es nötig ist, und bleib zuhause, wenn es möglich ist. Damit haben wir eine Belegungsquote in den Büros zwischen 30 und 50 Prozent. Dabei organisieren sich die Teams so weit wie möglich selbst. Auch legen sie fest, ob sie vielleicht mal eine Team-interne Präsenzveranstaltung machen – ­natürlich stets unter Beachtung der geltenden ­Abstands- und Hygieneregeln.

So kam es bis zum Lockdown im November vor, dass sich Teams hier in München getroffen haben, um den gegenseitigen persönlichen Austausch zu ermöglichen. Derzeit verzichten wir allerdings darauf, wenn irgend möglich.

inspect: Wie halten Sie dann den persönlichen Kontakt zu den Mitarbeitern und Kollegen aufrecht?
Munkelt: Grundsätzlich ist es wichtig, dass in einer solchen Situation besonders viel Kommunikation stattfindet, um diese neue Art der Zusammenarbeit besser hinzukriegen und Missverständnissen vorzubeugen.

Bei uns kommt hier vor allem Microsoft Teams zum Einsatz. Das funktioniert bei uns wie eine Whatsapp-Gruppe: Nachdem wir ohnehin viele Leute haben, die in den Sozialen Netzwerken unterwegs sind, ist das für sie kein Problem, mal ein kurzes Update an die Gruppe reinzuschreiben. Das hat dann auch nicht diese strenge Wirkung wie eine E-Mail: Schreibe ich etwa einem Mitarbeiter „Ich hab lange nichts mehr von dir gehört. Meld dich mal“ per ­E-Mail, klingt das komplett anders, als wenn ich dieselben Sätze in Teams schreibe und noch ein Smiley dahintersetze. Und das kommt dann auch anders an.

inspect: Und mit den Kunden?
Munkelt: Die gesamte Kommunikation mit den Kunden läuft virtuell im Moment. Da haben wir das Glück, dass wir mit den Partnern in vielen Ländern schon seit Jahrzehnten zusammenarbeiten. Dadurch haben wir zu diesen ein sehr gutes Vertrauensverhältnis. Das heißt, da müssen wir dann auch nicht jede Woche kommunikativ nachsteuern, weil irgendetwas vorgefallen ist. Das hilft uns in dieser Zeit natürlich ungemein und wird uns auch weiter durch dieses Jahr tragen.

inspect: Wie hat sich Ihr Jahr 2020 wirtschaftlich entwickelt?
Munkelt: Man muss das Folgende vor dem Hintergrund betrachten, dass wir einen deutlichen Schwerpunkt in Asien haben. Den hatten wir schon immer.

Gestartet ist das Jahr 2020 mit einem sehr guten Januar. Im Februar gab es dann eine Delle aufgrund des chinesischen Neujahrsfestes. Diese Gelegenheit haben die Chinesen dann auch genutzt, die Wirtschaft komplett runterzufahren bis in den März hinein. Daraus konnten wir dann auch ganz gut ablesen, wie es wohl weitergehen würde. Und tatsächlich ergab sich dann ein regelrechter V-Verlauf. Dadurch hatten wir ein außerordentlich starkes erstes Quartal. Im zweiten Quartal   allerdings ließ der Umsatz deutlich nach, aber alles im Rahmen.

Im weiteren Verlauf zeigte sich dann, dass dieser V-Verlauf nicht auf das Gesamtjahr zutraf. Insbesondere aufgrund des sehr schwachen Europageschäfts. Dadurch war es ein ständiges Nachjustieren der Prognosen.

Trotzdem hat sich dieser V-Verlauf in China und anderen asiatischen Ländern fortgesetzt, im Gegensatz zu allen anderen Regionen. Dadurch waren wir gegen Jahresende in Asien nach wie vor sehr, sehr gut unterwegs und in Deutschland noch sehr verhalten.

inspect: Wie wird sich Ihrer Meinung nach das Jahr 2021 entwickeln?
Munkelt: Der Trend nach mehr Elektronik für Konsumenten setzt sich fort, sei es aufgrund neuer Smartphones oder 5G, Flachbildschirmen mit 8k statt 4k – auch wenn es noch keine guten Abspielgeräte dazu gibt. All dies zieht massive Investitionen in Produktionsmittel nach sich, vor allem in Südkorea stellen wir das fest. Daher bin ich recht optimistisch für das Jahr 2021, was das Wachstum von MVTec angeht.

Autor

David Löh, Chefredakteur der inspect

Kontakt

MVTec Software GmbH

Arnulfstraße 205
80634 München
Deutschland

+49 89 457 695 0
+49 89 457 695 55

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