Bildverarbeitung

Handeln, bevor die Fassade bröckelt

Kostengünstige Diagnose von Betonbauwerken mittels hochauflösender Wärmebildgebung

17.11.2021 - Häufig werden Instandhaltungsmaßnahmen viel zu weit hinausgezögert. Meist so lange, bis das Bauwerk so marode ist, dass es abgerissen werden muss. Mithilfe von Thermografiekameras können Instandhaltungsmaßnahmen an Betonbauwerken frühzeitig und gezielt angegangen werden.

Seit 2009 ist bekannt, dass die Salzbachtalbrücke auf der A66 bei Wiesbaden sanierungsbedürftig ist. 12 Jahre später wurden dann Risse, herabfallende Betonteile und Absenkungen bemerkt – die Brücke wurde von einem Tag auf den anderen für den Verkehr gesperrt und soll nun im Oktober gesprengt werden. Diese Situation ist leider kein Einzelfall. „Grob gesagt ist jede zehnte Brücke in Hessen in irgendeiner Form sanierungsbedürftig, das heißt, in keinem guten Zustand“, wird der hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir in der FAZ vom 28.6.2021 zitiert. Das Beispiel zeigt, wie wichtig Instandhaltungsmaßnahmen und Sicherheitsuntersuchungen an Infrastruktur-Bauwerken aus Beton sind.

Da die Alterung der baulichen Infrastruktur zu einem immer dringlicheren Problem wird, hat das japanische Unternehmen West Nippon Expressway Engineering Shikoku Company eine Technologie namens IrBAS entwickelt, die auf Wärmebildkameras vom Typ Flir A6701 basiert. Derzeit setzt das aus Herrn Matsuda, Herrn Hashimoto und Herrn Hayashi bestehende Team das IrBAS als Alterungsschutzmaßnahme für die Instandhaltung von Betonstrukturen ein.

Nachteile konventioneller Betonprüfung

Als Instandhaltungsmaßnahme wurden bislang Hammerschlagprüfungen für die gesamte Oberfläche von Autobahnbrücken und anderen Betonstrukturen durchgeführt. Dabei sucht ein Prüfer mit einem Hammer spezifische Stellen vor Ort auf Anzeichen, dass Betonteile durch die Korrosion der Stahlarmierung abzublättern und abzufallen drohen. Diese Testmethode birgt jedoch Nachteile wie mangelnde Sicherheit bei hochgelegenen Arbeitsplätzen oder einen erheblichen Zeitaufwand für das Aufstellen und Bewegen des Gerüsts.
Thermografie wird als Methode zur Erkennung von Defekten bei Betonstrukturen aus der Ferne eingesetzt, ohne dass ein Gebäude direkt betreten werden muss. Bei dieser Methode kann ein durch Defekte bedingter Unterschied in der inneren Struktur in Form einer Temperaturdifferenz an der Betonoberfläche detektiert und im Wärmebild festgehalten werden.

„Das IrBAS ist in der Lage, per Thermografie einen großen Bereich als Ganzes zu dokumentieren und zu diagnostizieren, was den Zeit- und Arbeitsaufwand für die Inspektionen stark reduziert“, erklärt Herr Hashimoto. Bei der Prüfung war es bisher sehr zeitaufwändig, alle Prüfpunkte auf der Betonoberfläche, die mehrere tausend bis zehntausend Quadratmeter umfassen kann, einzeln mit dem Hammer zu testen. Mit dem IrBAS hingegen werden intakte sowie anormale Teile der Struktur vor dem Hämmern grob selektiert, wobei nur die als anormal diagnostizierten Teile einem Hammertest unterzogen werden. Dieses Verfahren reduziert die Anzahl der Prüfpunkte. Zudem können die fotografierten und thermografierten Daten für spätere Alterungsuntersuchungen archiviert werden.

Technologieauswahl

Mit dem IrBAS können Inspektoren auch bei weit entfernten Objekten vom Boden aus mit einem Teleobjektiv arbeiten. Diese Vorgehensweise reduziert den Arbeitsaufwand in der Höhe wesentlich und optimiert die Sicherheit der Inspektoren erheblich. „Das IrBAS klassifiziert anormale Teile in drei Stufen: Vorsicht, Aufmerksamkeit und Beobachtung, die mit drei verschiedenen Farben gekennzeichnet werden“, erklärt Herr Hashimoto. „Die Bilddaten werden dann von einem besonderen Algorithmus auf Temperaturunterschiede, Formen, Flächen und andere Faktoren analysiert, um Probleme zu identifizieren.“

Auf der Suche nach einer optimalen Inspektionsmethode sah sich das Team den Effekt der jeweiligen Messtechnik genau an: Unterschiede zwischen ungekühlten und gekühlten Wärmebildkameras, unterschiedliche für die Messung verwendete Wellenlängenbereiche sowie die Parameter verschiedener Hardwaretypen wie Detektoren und Objektive hatten zudem Auswirkungen auf die Diagnoseergebnisse. Diese Untersuchungen stellten sich als Studie der Thermografie selbst heraus.

Das Team begann zunächst mit empirischen Untersuchungen ungekühlter Wärmebildkameras. Anschließend wurden Kameras mit gekühltem QWIP-Detektor getestet bis hin zum Indium-Antimonid-Typ, der für mittlere Wellenlängen empfindlich ist (MWIR). Gekühlte Wärmebildkameras verfügen über eine höhere Sensitivität als ungekühlte. Einige gekühlte Wärmebildkameras werden jedoch im langwelligen Spektralbereich durch Reflexionen vom Himmel oder von der gegenüberliegenden Oberfläche stärker beeinflusst als andere. Diese Reflexionen machen sich in den Diagnoseergebnissen als Störungen der erfassten Bilddaten bemerkbar. „Wir haben uns schließlich für ein Indium-Antimonid-Thermografie-System von Teledyne Flir entschieden“, so Herr Hashimoto. Die derzeit eingesetzte Kamera Flir A6701 verfügt über einen Indium-Antimonid-Detektor mit einer Temperaturauflösung von 0,02 °C und einer Wellenlänge von 3–5 μm.
Um Defekte innerhalb einer Betonstruktur zu erkennen, wird eine Temperaturdifferenz auf der Betonoberfläche thermografiert. Die Oberfläche eines Betonbauwerks ist stark anfällig für Temperaturschwankungen aufgrund der unterschiedlichen Beschaffenheit und Dicke der Bauteile sowie durch Farbunebenheiten. Zudem muss das Entstehen freien Kalks durch eindringendes Regenwasser berücksichtigt werden sowie die Anhaftung von Fremdkörpern und Unregelmäßigkeiten, die während der Bauphase entstanden sind.

Es ist nicht einfach, eindeutig zwischen den Temperaturdifferenzen zu unterscheiden, die durch diese Faktoren verursacht werden, und solchen, deren Ursache interne Defekte sind. Doch nach vielen Jahren der Forschung fand das Team heraus, dass alle Teile, die in den Diagnoseergebnissen vom IrBAS als gesund beurteilt wurden, in den anschließenden Hammertests als unauffällig (ohne Anomalien) bestätigt wurden. Dadurch konnte die Zahl der erforderlichen Prüfpunkte stark reduziert werden. Zudem ermöglicht das IrBAS eine Differenzierung unterschiedlicher Schadensarten wie Aufschwimmen, Abblättern, Wasseraustritt und Verunreinigung durch Fremdkörper.
„Durch Deep Learning wollen wir die Genauigkeit des Systems erhöhen, um nicht nur zwischen intakten und anormalen Teilen unterscheiden zu können, sondern auch die Details jeder Anomalie zu erfassen, indem wir die Inspektionsergebnisse als Lerndaten weiter ausbauen“, so Herr Hashimoto. „Zudem werden wir einen Analyseserver einführen, ein automatisches Beurteilungssystem aufbauen und KI einsetzen.“ Die Betonstrukturdiagnose von Brücken kann auf Straßen, Eisenbahnbrücken, auf Gebäude sowie auf Schnellstraßen angewendet werden.

Autor
Joachim Templin,
Sales Manager – R&D/Science & Automation

Kontakt

Teledyne Flir

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60437 Frankfurt am Main
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