Profinet: Die Freiheit nehm‘ ich mir!
04.04.2025 - Offener Industrial-Ethernet-Standard sorgt für die perfekte Integration in Maschinenbauanwendungen
Die Vernetzung von schnellen Antrieben, Robotern, die Einbindung von Sensoren über IO-Link oder die Integration von Bilddaten – die Breite an Anwendungen ist in den vergangenen Jahren enorm gewachsen. Welche Freiheiten und welchen Mehrwert Profinet bietet, zeigen die im Text beschriebenen, konkreten Anwendungsfälle.
In Produktionsanlagen sind zahlreiche Daten über Maschinenzustände verfügbar. Doch bleibt ein Großteil ungenutzt, weil sich der Zugriff für den Anwender schwierig gestaltet. Die Herausforderung: Die Quellen dieser Daten können einfache Sensoren sein, Steuerungen einer Maschine oder es kann sich um hochauflösende Video- und Antriebsdaten in Echtzeit handeln. Zum Teil liegen die Daten bereits in Cloud- oder Edge-Anwendungen vor. Zudem müssen Anforderungen hinsichtlich Safety und Security berücksichtigt werden. Daher verwundert es nicht, dass so manchem Anwender der Kopf schwirrt.
Dabei gibt es eine Lösung für den einfachen Datenzugriff. Der Industrial-Ethernet-Standard Profinet erfüllt durch seine schnelle, deterministische Echtzeitkommunikation sowie seine integrierten Sicherheits- und Diagnosefunktionen alle Anforderungen des Maschinenbaus – von Standardapplikationen bis hin zu Spezial- und Sondermaschinen. Mit diesem offenen Ethernet-Standard haben Anwender viele Freiheiten bei der Gestaltung – sei es bei der Konnektivität einer Vielzahl von Geräten oder hinsichtlich der Netzwerktopologie. Zusätzlich lässt sich eine durchgängige Kommunikation von der Feldebene bis zur Cloud implementieren und dieses Netzwerk für verschiedene Dienste nutzen. Der große Pluspunkt: Es gibt eine Kommunikation für verschiedene Anwendungen von einfachen Aufgaben, wie die Übertragung von Temperaturen aus einem IO-Link-Sensor bis hin zu anspruchsvollen Bewegungssteuerungen via IRT (Isochronous Real Time) oder die Einbindung von Robotern via SRCI (Standard Robot Command Interface).
Zudem ist in einem Profinet-Netzwerk eine parallele TCP/IP-basierte Kommunikation und von weiteren Protokollen möglich, zum Beispiel für Diagnosen oder die Fernwartung. Auch für die Themen Safety und Security sind mit Profinet bereits etablierte Standards verfügbar.
Höhere Produktivität in der Wafer-Herstellung
Über Profinet können Maschinen nahtlos mit anderen Maschinen kommunizieren. Die auf Unternehmensebene zur Verfügung stehenden Daten führen zu mehr Flexibilität, höherem Durchsatz sowie einer besseren Produktivität.
Dies zeigt sich zum Beispiel bei der Herstellung kostspieliger Wafer, die immer leistungsfähiger und dünner werden. Das Schweizer Unternehmen Meyer Burger, Gwatt (Thun), sollte eine zuverlässige Drahtsäge für die Herstellung der Wafer mit sehr hohem Durchsatz entwickeln, welche die Produktivität steigert und die Kosten pro Wafer deutlich senkt. Hierfür mussten die Trennzeiten pro Wafer reduziert, die Standzeit des teuren Diamantdrahts optimiert und der Materialverbrauch minimiert werden. In Kombination mit der integrierten Funktion zur Maschinensicherheit, dem kompakten IO-System und einem integrierten Profinet-Netzwerk hat Meyer Burger eine effiziente, zukunftssichere Maschine konstruiert. Jetzt sorgt eine leistungsfähige Steuerungs- und Antriebstechnik für eine optimale Drahtzug- und Geschwindigkeitsregelung, wodurch ein dünnerer Draht zum Schneiden der Wafer verwendet werden kann.
Damit konnten 50 Prozent mehr Wafer pro Zeiteinheit produziert werden. Zudem wurden die Ausfallzeiten auf ein Minimum reduziert, da der Draht genauer geführt werden konnte und Drahtbruch vermieden wurde. Dies sparte rund 100.000 US-Dollar pro Jahr an Material. Zudem trägt Profinet zur exakten Synchronisierung der beteiligten Antriebe über IRT/Profidrive oder Ansteuerung der integrierten Sicherheitsfunktionen im Antrieb über Profisafe bei.
Anlageneffizienz um 25 Prozent gesteigert
Profinet reduziert die Komplexität bei der Integration der Maschinen in Anlagen und ermöglicht ein zentrales Engineering für den gesamten Prozess. Dadurch wird die Integration erheblich beschleunigt. Zudem sorgt dies für maximale Flexibilität. Je nach Prozessschritt können Komponenten hinzugefügt, getauscht oder ganze Anlagenkonzepte vervielfältigt werden. Auch die Wiederverwendung einzelner Anlagenteile ist möglich.
Bei der Inbetriebnahme von Anlagen ist des Weiteren die Einhaltung der engen Zeitfenster vom Projektstart bis zur Umsetzung eine Herausforderung. Ob über Variantenmanagement, eine modulare Architektur oder die Unterstützung von Konfigurations- und Inbetriebnahme-Tools: Profinet spart hier Kosten und verkürzt die Markteinführungszeit. Wie dies praktisch funktioniert, zeigt der Einsatz beim kanadischen Unternehmen Centerline-Seubert. Das Unternehmen entwickelt in Kanada Schweißmaschinen für die Automobilindustrie, die in Breidenbach für den europäischen Markt adaptiert werden. Diese basierten bislang auf einer anderen Automatisierung, wodurch es immer wieder zu Verzögerungen bei der Markteinführung kam. Nun wurde auf die durchgängige Kommunikation mit Profinet gesetzt, mit dem Ergebnis, dass die Anlagengeschwindigkeit um 25 Prozent gesteigert werden konnte. Zudem profitiert das Unternehmen von einer effizienteren Diagnose. So können Fehler schneller gefunden und behoben werden – die Verfügbarkeit der Anlage wurde dadurch gesteigert.
Fast Forwarding reduziert Übertragungszeiten
Profinet zeichnet zudem eine hochpräzise Kommunikation aus, die einen synchronisierten Echtzeit-Datenaustausch zwischen Antrieben ermöglicht. Dies ist vor allem für Anwendungen interessant, die eine präzise Regelung und schnelle Reaktionszeiten erfordern, wie in der Robotik und Bewegungssteuerung. Für solche hochperformanten Anwendungen wurden daher in Profinet einige intelligente Mechanismen zur Optimierung der Übertragungsperformance der Echtzeittelegramme integriert. So verkürzt das Fast Forwarding die Übertragungszeiten in Vermittlungsstellen. Insbesondere bei längeren Leitungsstrukturen sorgt dies für Vorteile in der Übertragungsgeschwindigkeit. Das Dynamic Frame Packing reduziert den Overhead von kleinen IO-Datenpaketen, wodurch die Bandbreite sehr effizient genutzt wird. Zudem können mit der Fragmentierung sehr kurze Zykluszeiten von 31,25 µs realisiert werden – bei uneingeschränkt paralleler Übertragung von Standarddaten. Zeitunkritische TCP/IP-Telegramme werden in kleinere Teile zerlegt und haben keinen Einfluss auf die Profinet-Kommunikation. Mittlerweile können durch die oben genannten Features zum Beispiel 256 IRT-Antriebe taktsynchron an einer IRT-Schnittstelle einer SPS betrieben werden. Die folgenden drei Beispiele aus ganz unterschiedlichen Branchen zeigen, wie sie von der Profinet-Technologie profitieren.
Druckmaschinen: Fit für die digitale Zukunft
Giave Franqueses del Vallés, Barcelona, gilt als führender Hersteller von Tief- und Flexodruck sowie von Schneid- und Wickelmaschinen. Das Unternehmen bietet alle Maschinen in kundenspezifischer Ausführung an, sodass Konfiguration, Leistung und Produktivität den Bedürfnissen der Kunden angepasst werden können. Gesucht wurde eine wirtschaftliche Lösung für hohe Druckqualität und kleine Losgrößen bei einer Stackmaschine. Dabei standen Flexibilität und Registerstabilität sowie der modulare Aufbau für andere Produktionsarten oben auf der Wunschliste. In der High-End-Stack-Flexodruckmaschine kommt nun eine durchgängige Steuerungs- und Direktantriebstechnologie zum Einsatz. Damit wurde die Druckgleichmäßigkeit auf CI-Niveau mit Registerregelung im Betrieb umgesetzt. Zudem konnte man aufgrund 90 Prozent weniger Makulatur einen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Da der gesamte Antriebsstrang rund 50 Prozent kürzer gebaut werden konnte, wurde auch weniger Bauraum nahe der Zylinderachse benötigt. Folglich ist die Maschine besser zugänglich. Zudem konnte der Energieverbrauch durch den konsequenten Einsatz von Servoantrieben um 20 Prozent gesenkt werden.
Leichtbau mit durchgängiger Steuerungs- und Antriebstechnik
Das Maschinen- und Anlagenbauunternehmen Dieffenbacher aus Eppingen ist Hersteller von Pressensystemen und kompletten Produktionsanlagen für die Holzwerkstoff-, Recycling-, Automobil- und Luftfahrtindustrie und arbeitet eng mit dem Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (Fraunhofer ICT) in Pfinztal zusammen. Nun sollte eine Produktionslinie aus Fiberforge und Fibercon unter Verwendung von Leichtbaumaterialien zur Herstellung von endkonturnahen Tapes entwickelt werden. Dies stellte hohe Anforderungen an die Dynamik des Antriebssystems mit 27 Achsen. Um die Materialkosten zu senken und den Ausschuss zu reduzieren, war ein effizientes Zusammenspiel aller Maschinenkomponenten nötig. Die Geräte verwenden alle Profinet und aufgrund eines integrierten Automatisierungskonzept arbeitet die Anlage jetzt 3,5-mal schneller als vorher und auch bei hohen Geschwindigkeiten lässt sich das Tape exakt positionieren. Auch die Infrarotstrahler können indessen präzise gesteuert werden, um optimale Temperaturen für die Konsolidierung zu erreichen und aufrechtzuerhalten.
Servoantriebe für kurze Taktzeiten
Seit Sommer 2024 sind von der EU neue Verschlüsse für Einwegkunststoffverpackungen, sogenannte Tethered Caps, vorgeschrieben. Dies stellt die Hersteller von Produktionssystemen vor Herausforderungen, so auch Eckel & Sohn Maschinenbau aus Gau-Odernheim. Denn die anvisierten Stückzahlen von über 100.000 pro Stunde sind nur mit kürzesten Taktzeiten beim Montieren realisierbar, was ohne Servoantriebe nicht möglich ist. Daher wurde bei Eckel & Sohn ein durchgängiges Engineering für alle Komponenten etabliert. Kernkomponenten der Lösung sind ein neues „Ein-Kabel-Servosystem“, bestehend aus einem kompakten Umrichter und einem auf Dynamik und Präzision ausgerichteten Servomotor. Der Prozess wurde auf zwei interagierende Motion Control CPUs verteilt, eine für Standard- und Safety-Aufgaben der Grundmaschine und eine für Profinet-IRT-Kommunikation mit den Servos an den Arbeitsköpfen der Rundlauftürme.
Diagnose der Geräte und des Netzwerks
Profinet bietet ein flexibles Diagnosekonzept, das Daten zur Netzwerktopologie und zum Status aller Geräte liefert und damit den Fernzugriff und die Fernüberwachung von Geräten im Netzwerk ermöglicht. Ein Paradebeispiel findet sich im Siemens-Elektronikwerk Amberg, in dem Produktions- und Qualitätsdaten direkt in Systeme für Predictive Maintenance und KI eingebunden werden. Da Profinet ein TCP/IP-basierter Standard ist, können die Daten direkt an übergeordnete IT-Systeme übertragen werden. Diese nahtlose Integration ermöglicht einen einfachen Zugriff auf die Produktionsdaten zur Analyse. Durch die Erfassung großer Mengen an Prozessdaten (50 Millionen Prozessdatenpunkte pro Tag von 1.000 Online-Kontrollpunkten, 1.000 Scannern und 1.000 Maschinen) hat Amberg eine Fehlerquote von nur elf Fehlern pro Million erreicht. Ermöglicht wurde diese Produktionsqualität durch die nahtlose Integration von Datenerfassungsprozessen und Datenmodellen sowie durch die Erweiterung der Prozessdatenerfassung um das 10.000-fache seit 1995. Zudem konnte die Produktion seit dem Produktionsstart 1990 um den Faktor 15 (oder 1.500 Prozent) gesteigert werden.
Ausblick
Diese Beispiele zeigen, wie Profinet für mehr Flexibilität, Durchsatz und Produktivität sorgt. Dazu tragen ein schneller Datenaustausch, hohe Datengeschwindigkeit, deterministische Kommunikation mit minimalem Jitter (kleiner als eine Mikrosekunde) und zusätzliche Redundanzmechanismen bei. Profinet sorgt nicht nur für hohe Zuverlässigkeit, sondern überwacht auch die gesamte Anlage mit einer konsistenten, durchgängigen Systemdiagnose. Profinet ist so konzipiert, dass es mit der Standard-Ethernet-Technologie kompatibel ist, was die Integration in bestehende Ethernet-Infrastrukturen erleichtert. Damit profitiert die Technologie von der kontinuierlichen Weiterentwicklung der IEEE-Ethernet-Technologie. Zudem bietet es eine nahtlose Integration von IO-Link und OPC UA, zum Beispiel über bereitgestellte Companion-Spezifikationen. Weiterentwicklungen bei Profinet Security, Safety oder auch der nahtlose Betrieb in virtualisierten Umgebungen wird die PI Community konsequent fortführen. Damit ist auch in Zukunft auf PI-Technologien Verlass.
Autor
Alex Wangler, Siemens AG, Leiter der PI-Working Group „FA Marketing”