"Das Steuern des Roboters und sein Verstehen der Umwelt wird ohne KI nicht funktionieren"
10.06.2025 - Ein Kommentar von Marco Huber, wissenschaftlicher Direktor für Digitalisierung und KI am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA
Die Robotik steht aktuell an dem faszinierenden Schnittpunkt zwischen Künstlicher Intelligenz (KI) und physischer Verkörperung. Dadurch kommt wunderbar das Moravec’sche Paradoxon zum Ausdruck. Benannt nach dem Robotikforscher Hans Moravec besagt es, dass Aufgaben, die für Menschen einfach sind, Robotern meist überraschende Schwierigkeiten bereiten. Umgekehrt sind Tätigkeiten, die präzise Wiederholungen, viel Kraft oder immense Rechenleistung erfordern und für Menschen schwer bis unmöglich sind, für Roboter ein Kinderspiel.
Die industrielle Fertigung verdeutlicht dieses Paradoxon. Roboter sind ideal geeignet für repetitive, präzisionsintensive Aufgaben wie das Schweißen in Karosseriewerkstätten. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit hingegen stellen sie vor Probleme, die menschliche Arbeitskräfte ganz selbstverständlich lösen. Deshalb sind die meisten Industrieroboter noch relativ „dumm“ und auf starre, fest verdrahtete Programmierung angewiesen, was ihre Fähigkeiten auf bestimmte, eng definierte Aufgaben beschränkt.
Um diese Einschränkungen zu überwinden, ist KI unverzichtbar. Und KI wird gleichzeitig stark von der Robotikforschung profitieren. Denn viele leistungsfähige KI-Lösungen sind rein virtuell, zum Beispiel Sprachmodelle. Zur Nagelprobe für die KI wird aber die physische Interaktion. Hier ist die Robotik eine ideale Verkörperung eines KI-Systems, das hohe Anforderungen stellt und damit die KI-Forschung beflügelt. Mit KI können Roboter Aufgaben lösen, die klassisch durch Programmierung nicht oder nur sehr unzureichend lösbar sind, zum Beispiel die Manipulation von Objekten mit Roboterhänden oder die Erkennung von Objekten anhand von Bilddaten. Diese Fähigkeiten brauchen sie, um ihre Umgebung zu interpretieren, sich anzupassen und dynamisch darauf zu reagieren. Das erweitert ihren Einsatzbereich in Fertigungsprozessen und natürlich darüber hinaus erheblich. Robotik und KI sind somit zwei Seiten einer Medaille – physische Interaktion und kognitive Intelligenz.
Derzeit beobachten wir den spannenden Trend humanoider Roboter in der Fertigung. Diese Roboter, die mit vielen Freiheitsgeraden die menschliche Form und Geschicklichkeit nachahmen sollen, sind ein bedeutender Schritt auf dem Weg zu einer menschenähnlichen Anpassungsfähigkeit und intuitiven Interaktion und könnten damit die durch das Moravec’sche Paradoxon beschriebene Lücke weiter schließen. Das Steuern des Roboters und sein Verstehen der Umwelt wird ohne KI nicht funktionieren, ähnlich wie auch autonomes Fahren ohne KI nicht machbar sein wird.
Aus neurowissenschaftlicher Sicht ist Verkörperung nicht bloß vorteilhaft, sondern grundlegend für echte Intelligenz und Bewusstsein. Dies wird als Verkörperungshypothese bezeichnet. Die Forschung hat hierzu gezeigt, dass Kognition durch sensorisch-motorische Interaktionen innerhalb der physischen Welt entsteht. Ohne Verkörperung bleibt Intelligenz begrenzt und unvollständig. Die Einbeziehung verkörperter KI in die Robotik stimmt also nicht nur perfekt mit wissenschaftlichen Erkenntnissen überein, sondern verspricht auch revolutionäre Fortschritte in der Fertigung und darüber hinaus.
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