Bildverarbeitung

Festbrennweiten- oder telezentrisches Objektiv? ­ Die Perspektive entscheidet

Konzept und Vorteile telezentrischer Objektive

04.04.2022 - Wie funktionieren telezentrische Objektive? Und wie genau unterscheiden sie sich von Festbrenn­weiten-Objektiven? Dieser Artikel stellt die Eigenheiten vor und erklärt, warum in der optischen Messtechnik vorwiegend telezentrische Modelle zum Einsatz kommen.

Ähnlich zum menschlichen Sehen haben Festbrennweitenobjektive (auch entozentrische Objektive genannt) einen Öffnungswinkel, mit der Folge, dass weiter entfernte Objekte kleiner abgebildet werden und umgekehrt. In einem Messaufbau ist diese Eigenschaft unerwünscht, denn das Messergebnis, zum Beispiel der Durchmesser eines Bauteils, soll sich nicht ändern, auch wenn der Prüfling nicht exakt vor dem Prüfsystem positioniert wird. Im Optikjargon spricht man von Parallaxe oder perspektivischem Fehler: der Grad der Vergrößerung in Abhängigkeit vom Arbeitsabstand.

Bei telezentrischen Objektiven wird diese unerwünschte Eigenschaft durch ihren Aufbau eliminiert oder zumindest sehr stark reduziert. Befinden sich beispielsweise zwei identische Objekte in unterschiedlichem ­Abstand zum jeweiligen Messaufbau, zeigt sich sehr eindrücklich der Unterschied zwischen telezentrischen und entozentrischen Objektiven: Trotz des deutlich unterschiedlichen Abstands der beiden Objekte werden sie mit einem telezentrischen Objektiv gleich groß dargestellt. Im Falle des Festbrenn­weitenobjetivs scheint das nähere Objekt deutlich größer zu sein als das weiter entfernte.

Telezentrische Objektive bewerkstelligen diese Unabhängigkeit vom Arbeitsabstand dadurch, dass der sogenannte Hauptstrahl parallel zur optischen Achse verläuft. Das ist die definierende Eigenschaft eines objektseitig telezentrischen Objektivs. Dadurch muss jedoch zumindest die erste Optik im Durchmesser mindestens so groß sein, wie das zu inspizierende Werkstück selbst.

Die Tiefenschärfe

Häufig wird fälschlicherweise angenommen, dass telezentrische Objektive über eine größere Tiefenschärfe verfügen als Festbrennweitenobjektive. Letztlich entscheidet jedoch die F-Zahl eines Objektivs über die Tiefenschärfe, die Telezentrie hat nur indirekt damit zu tun. Die F-Zahl ist unter anderem für den Durchmesser des Objektivs entscheidend. Dieser ist bei telezentrischen Optiken ohnehin groß im Vergleich zu einem Festbrennweitenobjektiv, bei ansonsten gleichen Parametern. Daher ist es üblich, dass telezentrische Objektive erst bei F-Zahlen im Bereich von F/6 anfangen. Hiermit will man den Durchmesser, die Designkomplexität aber auch die Kosten eines telezentrischen Objektivs reduzieren. Festbrennweitenobjektive lassen sich oft bis zu F/1.4 öffnen – für telezentrische Objektive ist das effektiv nicht zu erreichen.

Die Bedeutung der F-Zahl bei telezentrischen Objektiven

Es sei noch angemerkt, dass man beim Vergleich der F-Zahlen von telezentrischen und entozentrischen Objektiven leicht zwei Größen miteinander verwechseln kann. Für Festbrennweitenobjektive bezeichnet der in der Regel auf die Objektive gravierte Wert die bildseitige F-Zahl für unendlichen Arbeitsabstand. Die Wahl dieses Arbeitsabstands ergibt aus mehreren Gründen Sinn, ganz pragmatisch zum Beispiel, weil Festbrennweitenobjektive über eine ganze Bandbreite von Arbeitsabständen eingesetzt werden können. Daher gibt es keinen anderen „universalen“ Arbeitsabstand, der für alle Objektive unabhängig von Brennweite oder Hersteller gleich ist. Für telezentrische Optiken ergibt diese Wahl jedoch keinen Sinn. Schließlich ist bei diesen Objektiven der Arbeitsabstand endlich und fest vorgegeben. Entsprechend verwendet man zur Vergleichbarkeit die sogenannte Working F-Number, die berechnet wird, indem man die theoretische, auf unendlich basierende F-Zahl noch mit einem Faktor gewichtet, der von der konkreten Vergrößerung des jeweiligen Objektivs abhängt. Für einen korrekten Vergleich mit der F-Zahl eines Festbrennweitenobjektivs, muss der an diesem Objektiv eingravierte Wert ebenfalls noch mit dem gleichen Faktor umgerechnet werden.

Weitere Eigenschaften telezentrischer Objektive

Es gibt noch eine weitere interessante Eigenschaft telezentrischer Objektive, die ihnen in manchen Anwendungen Vorteile gegenüber einer entozentrischen Optik verschaffen kann. Aufgrund der mangelnden Perspektive werden Objekte gleichmäßig unscharf, wenn man an die Grenzen der Tiefenschärfe kommt oder darüber hinausgeht. Betrachtet man einen einfachen Punkt mit einer telezentrischen Optik und verlässt den Schärfebereich, so wird der Punkt symmetrisch unscharf. Ein Algorithmus kann daher weiterhin die korrekte Position des Schwerpunkts feststellen. Bei Festbrennweitenobjektiven würde der Punkt je nach Lage im Bild asymmetrisch zu einer Ellipse verzerrt werden, die genaue Lage wäre nicht mehr zu ermitteln. Insofern kann man in speziellen Situationen den nominalen Tiefenschärfebereich sogar noch etwas erweitern, ohne zwangsläufig Einbußen in der Qualität der Messergebnisse in Kauf nehmen zu müssen. Je nach Anwendung und Algorithmus kann es sogar von Vorteil sein mit einer gewissen Unschärfe zu arbeiten. Wenn der Übergang einer Kante auf mehrere Pixel verteilt wird statt im Extremfall nur auf zwei, liefert ein Messsystem eventuell wiederholbarere Ergebnisse.

Wie wird die Telezentrie nun quantitativ beschrieben? 

In den Datenblättern findet sich unter dem Stichwort „Telecentricity“ die Angabe eines Winkels, meist in Verbindung mit einer Wellenlänge. Dieser Winkel beschreibt den verbleibenden Winkel des objektseitigen Hauptstrahls. Da das ideale Ziel 0° beträgt, handelt es sich hier meist um sehr kleine Winkel, etwa im Bereich < 0.1°. Exakt 0° wird in der Regel nicht erreicht. Denn letztlich hängt der Winkel von der Wellenlänge des Lichts ab und die meisten Objektive sind für einen ganzen Wellenlängenbereich ausgelegt, nicht nur für eine einzelne Wellenlänge. Es gilt also einen bestmöglichen Kompromiss zu finden zwischen dem verbleibenden Winkel und dem gewünschten Wellenlängenbereich, auf dem das Objektiv eingesetzt werden soll. 

Die Abbildung oben rechts zeigt exemplarisch die Daten eines telezentrischen 1X Objektivs. Aufgezeigt ist der Winkel des Hauptstrahls zur optischen Achse für drei verschiedene Wellenlängen. Die y-Achse zeigt die Position des Hauptstrahls auf dem Sensor an. Definitionsgemäß beträgt der Winkel in der Bildmitte 0° – hier stimmt der Hauptstrahl mit der optischen Achse überein. Geht man von hier aus weiter in Richtung Bildecke, so wird der Hauptstrahlwinkel in den meisten Fällen durch eine monotone Funktion beschrieben. Sprich: Je weiter von der Bildmitte weg, desto größer der Winkel. Im Beispiel erreicht der Winkel bei 5,5 mm (entspricht einem Sensor mit 11 mm Diagonalen, 2/3-Zoll-Format) einen Wert von ~0,1° für blaues Licht der Wellenlänge 486 nm. Die Funktion muss aber nicht immer monoton sein und kann sich insbesondere für andere Wellenlängen unterscheiden. Für rotes Licht (656 nm) beträgt der Winkel bei 5,5 mm nur ca. 0,015° – und die Kurve weist einen Vorzeichenwechsel vor. Bei ca. 4,4 mm Bildhöhe ist der Winkel wieder 0°.

In der Regel empfiehlt es sich daher, eine Grafik dieser Art anstelle einer einfachen Tabellenangabe zu bemühen, der gegeben Falls nicht repräsentativ für die in der Anwendung relevanten Parameter ist. Weiterhin empfiehlt es sich, ein optisches Messsystem neu zu kalibrieren, wenn man monochromatisch arbeitet und die Wellenlänge des Lichts ändert.

Bildseitige Telezentrie: Vorteile bei optischen Filtern

In diesem Artikel wurden die anwendungsseitigen Vorteile sowie die Funktionsweise objektseitig telezentrischer Objektive vorgestellt. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass auch bildseitig telezentrische Objektive Nutzen bieten können. Diese sind weniger sensitiv auf die genaue Position und Lage des Sensors in der Kamera. Weiterhin ­vermeidet man den radiometrischen Effekt, der im cos4-Gesetz beschrieben ist: Die Intensität des Lichts wird von der Mitte weg zum Bildrand mit dem Faktor cos4(CRA) ­abnehmen, wobei CRA für den bildseitigen Winkel des Hauptstrahls steht (Chief Ray Angle).

Für ein telezentrisches Objektiv ist dieser Winkel 0°, der Faktor somit 1. Sofern das Objektiv keine mechanische Vignettierung aufweist in Verbindung mit dem verwendeten Sensor, wird daher kein Randlichtabfall zu beobachten sein.

Ein letzter Vorteil bildseitiger Telezentrie kommt bei der Verwendung von präzisen optischen Filtern zum Tragen, wenn diese zwischen Objektiv und Kamera eingebaut werden. Diese Filter sind in der Regel für einen Einfallswinkel von 0° ausgelegt. Je mehr man von diesem Winkel abweicht, desto mehr verschiebt sich die Filterresponse zu kürzeren Wellenlängen. Die Filtertransmission wäre damit nicht gleichmäßig über der Sensorfläche, was bei präzisen Messungen beispielsweise im Bereich der Fluoreszenz oder im Hyperspectral Imaging in der Regel nicht tragbar ist.

Im Bereich der optischen Messtechnik ist meist der erstgenannte Faktor der wichtigste. Um bestmögliche Messergebnisse zu erzielen, empfiehlt es sich jedoch, doppelseitig telezentrische Objektive zu verwenden, welche die Vorteile beider Konzepte ineinander vereinen.

Autor
Dr. Boris Lange, Manager Imaging Europe, bei Edmund Optics

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