Automatisierung

Strom aus dem Meer

26.04.2023 - Steuerungstechnik sorgt für hohe Verfügbarkeit des Wellenenergiekonverters, der Wellenenergie in Strom wandelt.

Wellenenergie ist die größte ungenutzte erneuerbare Energiequelle. Das Unternehmen CalWave aus Kalifornien 
möchte daher ein Viertel des weltweiten Energiebedarfs durch die beständige Energie von Meereswellen abdecken. 
Im Juli 2022 beendete das Unternehmen ein Pilotprojekt seines X-Wave-Systems vor der Küste von San Diego.
Wellenbewegungen im Meer enthalten hydrokinetische Energie. Nach Angaben des Ocean Energy Council setzt eine Welle, die auf einer Länge von einer Meile entlang der Küste bricht, etwa 35.000 PS an Leistung frei. Einige Kilometer vor der Küste verfügen Wellen über das größte Energiepotenzial. Mit im Meeresboden verankerten Wellenenergiekonvertern lässt sich dieses nutzen. Sie wandeln die Energie in Strom um und transportieren ihn über ein Kabel zur Küstenregion. Gemäß der U.S. Energy Information Administration beträgt das jährliche Energiepotenzial an den Küsten der Vereinigten Staaten 2.64 Billionen Kilowattstunden. „Insgesamt könnte damit rund ein Drittel des Strombedarfs der Vereinigten Staaten allein durch Wellenenergie gedeckt werden“, so Thomas Boerner, Chief Technology Officer bei CalWave Power Technologies.

Gegenüber anderen erneuerbaren Energieformen ist Wellenenergie konstanter und vorhersehbarer: „Das Tag-Nacht-Profil von Wellen­energie sieht sehr ähnlich aus, in der Regel gibt es keine Schwankungen, die mit dem Tag-Nacht-Zyklus korrelieren und die saisonalen Schwankungen sind im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energien weniger signifikant“, so Boerner. 

Das Produktionsprofil von Wellenenergie ist überdies antizyklisch zu dem von Wind- und Solarenergie. Während mit Wind in den Sommermonaten am meisten Strom produziert wird, sind Wellen in den Wintermonaten am stärksten. Damit stellt Wellenenergie die ideale Ergänzung zu bestehenden erneuerbaren Energieformen dar. Mit seinem X-Wave-System als Wellenenergiekonverter (WEC) möchte CalWave dieses Potenzial bestmöglich nutzen.

Lastmanagementmechanismen zum Schutz der Wellenergiekonverter 

Marcus Lehmann, Gründer von Calwave, war bereits 2012 von der Wellenenergie fasziniert. Inspiriert vom schlammigen Meeresboden, der diese effektiv absorbiert, baute er das erste Gerät zur Umwandlung von Wellenenergie in Strom. Mit Prototypen im Wellentank der Universität in Berkley wurde weiter experimentiert, erste Patente folgten. Nach der Gründung von Calwave arbeitete das Unternehmen vier Jahre lang am Konzept des Systems. Leistungselektronik, Regelung und Antriebsstrang wurden stetig weiterentwickelt, ebenso das Automatisierungs- und SCADA-System. 

Die Covid-Pandemie habe die Beschaffung, Tests und Integration der Hardware für den ersten Feldtest erschwert. Auch die zeitliche Koordination aller beteiligten Parteien sei herausfordernd gewesen. „Durch Bachmann hatten wir zum Glück äußerst kurze Vorlaufzeiten bei der Beschaffung der Hardware- und Software-Komponenten für das Automatisierungssystem. Zudem hat das Bachmann-Team die Automatisierungsanforderungen im Detail mit uns durchgedacht und uns gute Tipps gegeben, wie wir die Systeme optimal zusammensetzen können. Das war sehr, sehr viel wert“, blickt der Chief Technology Officer auf die Entwicklungszeit zurück.

Aber auch die Bedingungen am Einsatzort, dem offenen Meer, stellten die Entwickler vor eine Herausforderung: Das Design von X-Wave sollte 50-Jahres-Stürmen standhalten. Bei starken Stürmen drohen Wellen zerstörerische Ausmaße anzunehmen. Um an der Oberfläche gegen diese hohen Kräfte zu bestehen, wären hohe Materialaufwände notwendig. Calwave betreibt sein System deshalb vollständig unter Wasser und entgeht damit diesen potenziell schädigenden Wellen. Zudem ist der Wellenergiekonverter mit einzigartigen Lastmanagementmechanismen ausgestattet: Abhängig von der unmittelbaren Wellenausbreitung lässt sich X-Wave relativ zum Meeresgrund senken oder anheben und so die Wellenenergie in der für die Absorption idealen Tiefe nutzen. „Solche Lastmanagementmechanismen wurden von Beginn an gezielt in das X-Wave-Konzept integriert, was eine hocheffiziente Auslegung mit deutlichem Kostenvorteil ermöglicht“, freut sich Thomas Boerner.

Das Ziel: Jede Welle nutzen 

Mehrere Antriebsstränge produzieren Strom aus der wellenbedingten relativen Bewegung des Aufbaus zum Meeresboden. Ziel war es, möglichst jede Welle zu nutzen. Da sich die gesamte Plattform unterhalb der Wasseroberfläche befindet, wird die Wellenenergie über vieldimensionale Freiheitsgrade verwertet und damit ein hoher Wirkungsgrad erreicht. Zusätzlich kann das System auch die Geometrie des Absorberkörpers verändern. Dadurch lässt sich die Leistung des skalierbaren Systems zusätzlich optimieren. „Durch diese Mechanismen können wir nicht nur den Antrieb im optimalen Betriebsbereich halten, sondern die gesamte Einheit – ganz ähnlich zur Vorgehensweise in der Windenergie“, erklärt der Ingenieur.

Steuerung ermöglicht Verfügbarkeit von über 99 Prozent 

Im September 2021 startete einen halben Kilometer vor der Küste von San Diego ein Pilotprojekt, um das System unter realen Bedingungen ausgiebig zu prüfen. Es war der erste Langzeitversuch zur Nutzung von Wellenenergie in Kalifornien. Calwave war es ein großes Anliegen, ihr System rund um die Uhr autonom in Betrieb zu halten. „Verfügbarkeit ist für uns das wichtigste Thema“, so der CTO und ergänzt: „Mit der Bachmann-Steuerung konnten wir mehr als 99 Prozent Verfügbarkeit des Gesamtsystems während des 10-monatigen Pilotprojekts unter Realbedingungen erreichen.“ Während des Projekts seien keinerlei Eingriffe nötig gewesen. „Unsere Mechanismen zur Antriebsregelung, Leistungsoptimierung und Diagnose haben sich als zuverlässig und robust erwiesen und arbeiteten völlig autonom“, erklärt Boerner. 

Aufgrund der hohen Zuverlässigkeit entschied sich Calwave, das Projekt nach den geplanten sechs Monaten noch um vier weitere zu verlängern. Das X-Wave-System mit 15 kW Nennleistung wird über eine Bachmann-Hauptstation mit MC220-Prozessormodul gesteuert, die über Fastbus mit mehreren abgesetzten Unterstationen für die Antriebe verbunden ist. Die Kommunikation zu den Antrieben erfolgt über Ethercat. Das GM260-Netzerfassungsmodul misst zuverlässig und schnell die relevanten Drehstromgrößen. Die Prozessorlast wurde letztlich auf die vier Kerne der CPU verteilt. „Obwohl für die komplexen Regelungen mehr als 1.000 Variablen zwischen den parallellaufenden Applikationsprogrammen ausgetauscht werden, übertraf die Systemlast der MC220-CPU selbst bei Nutzung eines einzelnen der vier verfügbaren Rechenkerne nie die 50-Prozent-Marke“, ist Boerner beeindruckt.
Calwave hatte den aktuellen Status der Pilotanlage dabei stets im Blick: Mit dem Software-Oszilloskop Scope 3 wurden die Systemdaten aufgezeichnet und historisiert. Die Visualisierung mit Web MI pro ermöglichte von jedem beliebigen Ort aus eine umfassende Anlagendiagnose und die gezielte Steuerung aller wichtigen Parameter. „Dank des 12-stündigen Daten-Samplings aller relevanten Signale konnten wir die Vorgänge auf der Plattform bequem und ohne Post-Processing verfolgen“, so Boerner. „Eine detaillierte Analyse mit hoher Datenrate bleibt natürlich weiterhin im Post-Processing möglich.“

Steuerung unterstützt mit Simulink ­kompiliertem Code und C++ 

Der Weg bis zum Pilotprojekt sei aus entwicklungstechnischer Sicht jedoch anspruchsvoll gewesen, so der CTO: „Ein neuartiges System mit vielen Komponenten im großen Maßstab und unter kontrollierten Bedingungen zu testen, ist aufwändig. Es gibt sehr viele Effekte, die sich gegenseitig beeinflussen und mitunter verstärken. Zudem musste das System bereits an Land so gut als möglich abgestimmt werden, denn Offshore-Tests sind sehr teuer. Die Entwicklung und Optimierung von Regelstrategien für den Antriebsstrang sind dafür gute Beispiele.“ 
Während der Testphase optimierte das Team das dynamische System mit umfangreichen Simulationen weiter. Code generierten sie automatisch mit M-Target for Simulink und konnten diesen zu jedem beliebigen Zeitpunkt über das Netzwerk auf die Steuerung laden. Das sei entscheidend gewesen, um X-Wave auf Herz und Nieren prüfen zu können. Eine weitere Herausforderung stellte die Komplexität des Antriebsstrangs und der Steuerung sowie die Signal- und Datenorganisation dar. Hier sei es sehr hilfreich gewesen, dass die Bachmann-Steuerung neben mit Simulink kompiliertem Code auch die Programmiersprache C++ unterstützt. „Diese Parallelität ist schon extrem stark. Wir haben keine andere Plattform gefunden, inder das so nahtlos integriert ist. Das war sehr hilfreich“, erklärt Thomas Boerner.

Testanlage für Wellenenergie soll 20 MW liefern  

Als nächsten Schritt plant Calwave den Bau einer 100-kW-Version der xWave-Architektur. Diese soll zwei Jahre lang in PacWave South betrieben werden – der ersten akkreditierten, netzgekoppelten und genehmigten Testanlage für Wellenenergie auf offenem Meer in den USA. Über vorin­stallierte Kabel sollen von dort aus 20 Megawatt Leistung in das lokale Netz auf dem Festland gespeist werden. Hier möchte CalWave dann auch mit einem digitalen Zwilling arbeiten – ein Simulationsmodell, das mit den Daten des echten Systems trainiert wird. Regelung und Simulationsmodell sollen dann in Echtzeit parallel laufen und die Ergebnisse des realen Systems mit denen der Simulation verglichen werden. „So können wir verschiedene Regelungskonzepte testen, bevor sie im realen System zum Einsatz kommen. Dieser datengetriebene Ansatz soll es uns schließlich auch ermöglichen, Systeme im Blick zu haben, die nicht mit Sensoren ausgestattet sind – und auch um X-Wave vorausschauend zu warten“, wagt Boerner einen Ausblick. Dabei geht er sogar davon aus, dass er die dazu benötigte Rechenleistung parallel auf der MC220-CPU unterbringen wird. Langfristiges Ziel ist die Erreichung netzdienlicher Leistungsklassen im Bereich von über einem Megawatt pro System. Auch wenn die Antriebssysteme dazu weiter skaliert werden, könne die Steuerungsarchitektur auf Basis des Bachmann-Steuerungssystems im Grunde 1:1 übernommen werden, wie Boerner festhält: „Dazu wollen wir in Zukunft auch ein Farm-Setting etablieren und die Einheiten bündeln.“ Aber auch Plattformen mit niedrigeren Nennleistungen wie die des Pilotprojekts haben eine Bedeutung für die Nutzung von Wellenergie. Sie könnten zukünftig beispielsweise als Energieversorgung für Offshore-Messstationen Einsatz finden.

Kontakt

Bachmann electronic GmbH

Kreuzäckerweg 33
6806 Feldkirch
Österreich

+43 5522 3497 0
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