„Wir sind 100 Prozent IT-zentriert“
04.04.2025 - Im Gespräch: Karsten Walther, Geschäftsführer des Berliner IT-Unternehmens Perinet
Perinet sieht sich als Vorreiter für Single Pair Ethernet. Was das Unternehmen zum Pionier macht, inwieweit Perinet bei der Implementierung der Technologie unterstützt und welche Rolle KI und Nachhaltigkeit spielen, darüber sprechen wir mit Karsten Walther.
Perinet wurde im Jahr 2018 von Dietmar Harting als Start-up in Berlin gegründet. Was ist Ihre Vision, was Ihr Ziel?
Karsten Walther: Unser Ziel ist es, das IT-Netzwerk bis zum Sensor beziehungsweise Aktuator, das heißt bis in die Peripherie zu bringen. Denn so ist eine einheitliche Kommunikation über alle Ebenen hinweg möglich, was wiederum die Umsetzung von Anwendungen wesentlich vereinfacht. Hierbei sehen wir unsere Aufgaben darin, die erforderliche Technologie zur Verfügung zu stellen.
Wie nahe sind Sie diesem Ziel in den vergangenen sechs Jahren schon gekommen?
Karsten Walther: Wir haben es schon erreicht. Denn seit 2021 haben wir Produkte am Markt, die einzelne Sensoren und Aktoren netzwerkfähig machen und sehr einfach anzuwenden sind.
Inwieweit wirkt sich die aktuelle globale wirtschaftliche Situation auf das Unternehmen aus?
Karsten Walther: Die derzeitige Situation wirkt sich in mehreren Bereichen auf Perinet aus – bringt jedoch auch Herausforderungen sowie Chancen mit sich. Die allgemeine Konjunkturabschwächung in einigen Märkten beeinflusst Investitionsentscheidungen, was sich wiederum auf die Nachfrage nach neuen Technologien auswirken kann. Wir sehen weltweit Unterschiede in der Investitionsbereitschaft für diese Technologie, abhängig von der jeweiligen wirtschaftlichen Entwicklung des Zielmarkts. Andererseits verstärken der zunehmende Digitalisierungsdruck und der Trend zur Effizienzsteigerung in der Industrie und Gebäudeautomation das Interesse an zukunftssicheren Lösungen wie Single Pair Ethernet (SPE). Unternehmen suchen verstärkt nach smarten, kosteneffizienten und nachhaltigen Alternativen, um Betriebskosten zu senken und ihre Infrastrukturen zu modernisieren. Zudem entstehen durch gesetzliche Anforderungen wie den Cyber Resilience Act (CRA) neue Marktchancen, da Sicherheitsaspekte eine immer wichtigere Rolle spielen und unsere Technologie diesen Anforderungen entspricht. Wesentlich bedeutender ist unserer Erfahrung nach aber die Änderungsbereitschaft der einzelnen Unternehmen, kurz gesagt: Wer aktuell sehr erfolgreich ist, ist nicht unbedingt der Interessierteste. Resümieren kann man hier, dass trotz wirtschaftlicher Unsicherheiten die Nachfrage nach innovativen Netzwerk- und IoT-Lösungen hoch bleibt, und Perinet gut positioniert ist, um von diesem Wandel zu profitieren.
Perinet sieht sich als Vorreiter für Single Pair Ethernet (SPE). Was macht Sie zum Pionier bei dieser Technologie?
Karsten Walther: Wir haben die Technologie stets von der gesamten Anwendung her betrachtet. Der Mehrwert von SPE ergibt sich, wenn das übergeordnete System IT-basiert ist. Vor diesem Hintergrund haben wir als eines der ersten Unternehmen eine Komplettlösung für die direkte Ethernet-Kommunikation von Sensoren und Aktuatoren entwickelt. Unser patentiertes PeriCore-Modul vereint den gesamten Netzwerkstack auf einem kompakten Chip und ermöglicht die direkte IP-Kommunikation ohne zusätzliche Gateways. Zudem erfüllen unsere Lösungen höchste Cyber-Security-Standards und sind CRA-konform, sodass sie den neuen EU-Richtlinien entsprechen. Mit hybriden Verkabelungslösungen erleichtern wir die Modernisierung bestehender Infrastrukturen, während die Unterstützung von HTTP und MQTT eine nahtlose Integration in IT- und IoT-Systeme ermöglicht. Durch unser Lizenzmodell können Hersteller unser SPE-Modul in ihre eigenen Produkte integrieren – ähnlich dem Dolby-Ansatz im Audio-Bereich. Mit diesen Innovationen treiben wir SPE als Standard für Industrie 4.0 und smarte Gebäudeautomation aktiv voran.
Welche spezifischen Vorteile bietet SPE im Vergleich zu herkömmlichen Netzwerktechnologien im Maschinenbau?
Karsten Walther: Der Mehrwert liegt in der vereinfachten, verbesserten und sicheren Anbindung der Peripherie an die IT-basierten Zentralsysteme, die mehr und mehr klassische Feldsysteme ersetzen, KI wird diese Entwicklung noch weiter beschleunigen. Technisch ermöglicht die kleinere Elektronik erstmals kabelgebunden Ethernet in kleinste Geräte zu integrieren. Ein weiterer Vorteil ist die Robustheit, somit kann ich Ethernet auch praktikabel über Schraubklemmen und ohne Schirmung führen. Übrigens sind wir der Meinung, dass der Vergleich gegenüber Feldtechnologien wie Modbus, CAN oder IO-Link geführt werden sollte und nicht gegenüber Ethernet.
Wie trägt SPE zur Optimierung der Maschinenwartung und -verwaltung bei?
Karsten Walther: Wartung und Verwaltung sind Vorgänge, die heute schon zentral über IT-Systeme gesteuert werden. Diese Systeme können aber nur gute Entscheidungen treffen, wenn sie gut mit der physischen Welt verknüpft sind. Vergleichbar mit Nervenbahnen, die unser Gehirn mit Sinneszellen und Muskeln einheitlich verbinden, gibt es nun eine einheitliche Datenautobahn und es sind keine Übersetzer mehr notwendig.
Welche Herausforderungen gibt es bei der Implementierung von SPE in bestehende Maschinen und wie unterstützen Sie Ihre Kunden dabei?
Karsten Walther: Das größte Manko ist derzeit die verfügbare Breite an SPE-Geräten, wodurch Mischinstallationen notwendig sind. Zudem existiert natürlich noch wenig Erfahrung bei unseren Kunden im Umgang mit SPE und Netzwerkkommunikation, wodurch die Vorteile oftmals gar nicht gesehen oder genutzt werden. Wir beraten hier unsere Kunden, wie sie mit möglichst wenig Aufwand anfangen und dann schrittweise weiterentwickeln können.
Welche Sicherheitsmaßnahmen werden bei der Nutzung von SPE implementiert, um die Datenintegrität und -sicherheit zu gewährleisten?
Karsten Walther: Kurz gesagt, Sie haben alle Möglichkeiten, die auch heute schon in der IT möglich sind und in denen 30 Jahre Know-how von tausenden Entwicklern stecken. Gegenüber jeglichem Feldbus ist die Datensicherheit viele Stufen besser. Das Augenmerk bei unseren Produkten liegt vor allem auf der einfachen Nutzbarkeit der zur Verfügung stehenden Mechanismen, letztlich sollte niemand Sicherheits- oder Netzwerkexperte sein müssen, um eine sichere Anwendung umzusetzen.
Welche Kooperationen oder Partnerschaften hat Perinet mit anderen Unternehmen oder Organisationen im Bereich SPE geschlossen?
Karsten Walther: Wir sind sowohl Mitglied im SPE-Partnernetzwerk als auch in der SPE System Alliance. In beiden Gruppen bringen wir uns mit unserer Expertise des Gesamtsystems von der Elektronik über die Netzwerkkommunikation bis hin zur Anwendung ein. Zudem arbeiten wir sehr viel mit Technologiepartnern aber auch Systemintegratoren zusammen, die Community ist noch überschaubar und man kennt sich.
Wie integriert Perinet digitale Technologien, um die Effizienz und Produktivität zu steigern?
Karsten Walther: Perinet integriert digitale Technologien auf vielfältige Weise, um die Effizienz und Produktivität zu steigern. Zum Beispiel durch unser PeriCore-Single-Pair-Ethernet-Modul, das in Sensoren und Aktuatoren integriert wird, ermöglichen wir eine nahtlose Netzwerkanbindung. Diese Technologie optimiert nicht nur die Kommunikation zwischen Geräten, sondern bietet auch Cyber Resilience Act-konforme Datensicherheit, was vor allem in sicherheitskritischen Umgebungen entscheidend ist. Ergänzend dazu bieten wir smarte Sensor-Adapter, zum Beispiel zur Auslesung von Zählern, die Verbrauchsdaten von Wasser, Gas oder Strom erfassen und diese direkt an IT-Systeme überträgt. Dies ermöglicht eine einfache Integration in bestehende IT-Infrastrukturen und unterstützt die Automatisierung und Fernüberwachung von Gebäuden oder Anlagen. Beide Technologien – Digitaler Retrofit und Sensor-to-IT – bieten eine kostengünstige Möglichkeit, bestehende Systeme auf den neuesten Stand der Technik zu bringen und gleichzeitig die Effizienz zu steigern.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung in der strategischen Ausrichtung von Perinet?
Karsten Walther: Wir haben in den vergangenen 30 Jahren gesehen, wie die IT-getriebene Digitalisierung Lebens- und Anwendungsbereiche übernommen hat, getrieben durch den Einzug von Netzwerkfähigkeit in immer kleinere Geräte. Wir sind 100 Prozent IT-zentriert.
Welche Maßnahmen ergreift Perinet, um die Nachhaltigkeit ihrer Produkte und Prozesse zu gewährleisten?
Karsten Walther: Unsere Produkte sind auf eine jahrzehntelange Nutzung ausgelegt. Zudem lassen sich vielfach existierende Buskabel wiederverwenden beziehungsweise führt die Neuinstallation nicht zu mehr Kupferverbrauch. Der eigentliche Effekt liegt aber in der Anwendung, da durch die zunehmende Intelligenz der Endgeräte effizientere Gesamtsysteme möglich sind.
Wie trägt SPE zur Reduzierung des Energieverbrauchs und zur Förderung einer nachhaltigen Produktion bei?
Karsten Walther: SPE ermöglicht sehr schlanke One-Cable-Installationen, in denen in einem Kabel bidirektional Energie und Daten übertragen werden können, und Verbraucher/Erzeuger dynamisch angeschlossen oder abgetrennt werden können – ähnlich USB-C nur mit größeren Leistungen. Dadurch entsteht enormes Potential für energieeffizientere Anlagen zum Beispiel durch die Möglichkeit, Batteriespeicher dezentral nach Bedarf einzusetzen.
Welche zukünftigen Entwicklungen und Innovationen plant Perinet im Bereich SPE?
Karsten Walther: Wir erweitern unser Portfolio insbesondere im Hinblick auf Retrofitkomponenten, um noch mehr Anwendungen adressieren zu können. Innovationen gibt es insbesondere auf Softwareseite. Es wird immer von intelligenten Sensoren gesprochen, hier haben wir einen festen Fahrplan für die Erhöhung des Autonomiegrades von Perinet-basierenden Sensoren und Aktoren.
Können Sie eine Auswahl an Fallstudien oder Beispiele für erfolgreiche SPE-Projekte im Maschinenbau nennen?
Karsten Walther: Wir haben in einer Fallstudie eine Montageanlage untersucht, die bisher über einen Echtzeit-Ethernet-Feldbus realisiert war. Gegenüber der Ist-Lösung wurden mit SPE basierter Sensorik/Aktorik und IT-basierter Steuerung diverse Vorteile ermittelt. So kann der gesamte Inbetriebnahme-Aufwand drastisch reduziert werden, da durch SPE und die IT-Kommunikation Plug & Play möglich ist, dies ermöglicht zudem auf einfache Art und Weise das Anschließen oder Entfernen von Teilgeräten zum Beispiel Förderern. Die erforderliche Kommunikationsbandbreite sinkt drastisch, da jeder Sensor/Aktor nur noch in der für ihn notwendigen Frequenz kommunizieren muss und nicht alle im gleichen festen Takt. Mit Logiccloud steht zudem eine Software bereit, um bestehende SPS-Programme weiter nutzen zu können.
Inwieweit nimmt Künstliche Intelligenz Einfluss auf Ihr Unternehmen?
Karsten Walther: Durch unsere Technologie kann KI direkt mit der Umgebung/Peripherie sprechen. Letztlich ist KI auch eine IT-Technologie und kann am besten über IT-Netzwerke auf Daten zugreifen. Und wir nutzen bereits künstliche Intelligenz in der Entwicklung, beim Marketing oder ganz einfach in der Buchhaltung.
Und wie integrieren Sie aktuelle Trends in der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz in Ihr Produktportfolio?
Karsten Walther: Wir arbeiten an einem KI-basierten Assistenten für die noch einfachere Nutzung unserer Systeme. In ersten Projekten haben Kunden auch bereits eigene KI-Komponenten entwickelt, hier beschränken wir und auf die Rolle des Informationslieferanten.
Welche neuen Produkte oder Dienstleistungen plant Perinet in naher Zukunft einzuführen, um den aktuellen Marktanforderungen gerecht zu werden?
Karsten Walther: Wir planen für den Gebäudeautomatisierungsbereich Retrofitkomponenten, da hier unsere für die Industrie entwickelten Produkte nicht ideal sind. Zudem wird es ein Einstiegsprodukt geben, mit dem über bereits installierte Busleitungen Ethernet getunnelt werden kann. Nicht zuletzt orientieren wir uns an Kundenanfragen und bringen Software für die einfache Inbetriebnahme und Arbeit mit unseren Komponenten. Wir haben zum Beispiel gerade ein konfigurationsloses Dashboard veröffentlicht, welches die Daten einer Anwendung automatisch anzeigt.
Was wünschen Sie sich in den kommenden drei Jahren für die Industrie (in Deutschland)?
Karsten Walther: Verlässliche Rahmenbedingungen, weniger Bürokratie und eine innere Dynamik in Richtung digitaler Zukunft – aktuell sehen wir in vielen anderen Ländern wesentlich mehr Interesse an IT-basierter Sensorik und Aktuatorik. (agry)