Automatisierung

„Wir wollen doppeltes Marktwachstum in unseren Zielbranchen erreichen“

27.02.2023 - Jumo feiert 2023 sein 75. Jubiläum. Wir sprachen mit der Geschäftsführung.

Wir sprachen mit Bernhard Juchheim, dem Gesellschafter des Sensor- und Automatisierungsspezialisten, sowie Dimitrios Charisiadis und Steffen Hoßfeld, die als CEO und COO das Unternehmen operativ führen, über Erfolge, Herausforderungen, Ziele – und natürlich Nachhaltigkeit. 

Herr Juchheim, 1985 übernahmen Sie die Geschäftsführung des von Ihrem Vater gegründeten Unternehmens. Über drei Jahrzehnte standen Sie nun an der Spitze eines Hightech-Unternehmens mit 75-jähriger Historie. Was war rückblickend Ihre größte Herausforderung, was Ihr größter Erfolg und wo sind Sie an Ihre Grenzen gestoßen?

Bernhard Juchheim: Die größte Herausforderung für einen Unternehmer ist es, das jeweils aktuelle Produkt- und Lösungsportfolio permanent auf den Prüfstand zu stellen und sich zu fragen, was der Kunde braucht. Wie können wir als Jumo einen Mehrwert für ihn schaffen? Der Markt und die Anforderungen können sich in dieser globalisierten Welt rasch ändern. Hier muss man immer wieder nachjustieren und dem Markt neue, innovative Produkte präsentieren – und auch neue Wege beschreiten: Momentan wandeln wir uns Schritt für Schritt von einem Komponentenhersteller zu einem System- und Lösungsanbieter. Als einen großen Erfolg in der Jumo-Geschichte sehe ich unsere Fokussierung und die ständige Verbesserung im Bereich der industriellen Temperaturfühler für Wärmezähler. Lohn der harten Arbeit ist, dass wir uns hier seit Jahren Weltmarktführer nennen dürfen. Aber auch Ihre Frage nach unternehmerischen Grenzen ist interessant. Wir haben vor Jahrzehnten als einer der ersten die Mikroprozesstechnologie in die Regler integriert. Die Einführung war aufgrund bestimmter physikalischer Einflüsse eine Herausforderung im Feld. Hier sind wir teilweise an unsere Grenzen gestoßen und haben dabei viele Erfahrungen sammeln können. 

Gab es einen Tag, an dem Sie Ihre Entscheidung, die Geschäftsführung zu übernehmen, in Frage gestellt haben?

Bernhard Juchheim: Nein, nicht einen einzigen Tag. Das unternehmerische Erbe meines Vaters Moritz Juchheim zu übernehmen, war für mich Verpflichtung und Ansporn zugleich. Die Wachstumsperspektiven für die Jumo-Unternehmensgruppe waren damals auf lange Sicht sehr gut. Technische und organisatorische Herausforderungen gab es in den 75 Jahren immer wieder, doch die Häufigkeit von Krisen in den vergangenen gut 15 Jahren, die unsere Geschäftsmodell und damit das Unternehmen gefährdeten, habe ich vor 2008 selten erlebt. Damals bekamen auch wir als bankenunabhängiges Unternehmen die volle Wucht der Finanzkrise zu spüren. Nach der Eurokrise kam Anfang 2020 die Coronakrise, mit der unsere Gesellschaft heute noch zu kämpfen hat. Dann begann Ende Februar 2022 der Ukraine-Krieg, der schwerwiegende Folgen nicht nur für die Menschen in der Ukraine hat, sondern auch weltweit zu großen Verwerfungen führt.

Nach über 37 Jahren im Geschäft: Was hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in der Geschäftswelt verändert?

Bernhard Juchheim: Das Internet wurde 1990 in den USA für alle freigegeben, Google ging 1997 online. Das Internet und auch die Digitalisierung haben unser berufliches und privates Leben gravierend verändert. Als Unternehmer finde ich es natürlich spannend, die Entwicklung bei den Themen Industrie 4.0 beziehungsweise Fabrik der Zukunft zu beobachten. Hier hat die Wirtschaft in den zehn Jahren, als das Thema zum ersten Mal groß auf der Hannover Messe gespielt wurde, enorme Sprünge gemacht. Auch Jumo hat sich aktiv in diesen Prozess eingebracht und bietet entsprechende Lösungen, beispielsweise die Datenübertragung vom Sensor in die Cloud. Dass die beiden Megathemen Klimaschutz und Nachhaltigkeit bei vielen Unternehmen weltweit ganz oben auf der Agenda stehen, freut mich persönlich sehr. Jumo managt den ökologischen Fußabdruck schon seit Jahrzehnten so gut wie möglich. Wir haben lange vor den gesetzlichen Regelungen viele Prozesse implementiert und ständig verbessert, um nachhaltig zu produzieren und die Umwelt so wenig wie möglich zu belasten. Auf diese Vorreiterrolle sind wir stolz.

Sie und Ihr Sohn Michael Juchheim haben sich im Mai 2022 aus dem operativen Geschäft zurückgezogen, um sich auf die Gesellschafterrolle konzen­trieren zu können. Übernommen haben die Position nun Dimitrios Charisiadis und Steffen Hoßfeld – und damit ist Jumo nicht mehr in Familienhand. 

Bernhard Juchheim: Jumo ist und bleibt ein Familienunternehmen, alle Anteile am Unternehmen liegen in der Hand der Familie Juchheim. Mein Sohn Michael und ich können uns nun stärker auf Zukunftsthemen konzentrieren und diese vorantreiben. Das operative Geschäft liegt in den Händen der beiden Geschäftsführer, Dimitrios Charisiadis und Steffen Hoßfeld, die unser vollstes Vertrauen genießen und sich mit uns abstimmen.

Herr Charisiadis, Herr Hoßfeld, wo liegen die jeweiligen Schwerpunkte in Ihrer 
Funktion als Geschäftsführer?

Dimitrios Charisiadis: Als Chief Executive Officer bin ich auf globaler Ebene unter anderem zuständig für den Vertrieb, das Produkt- und Branchenmanagement, das Marketing und die Entwicklung sowie das Personal. Generell ist unser Ziel, unsere Kunden mit unserem System- und Lösungsangebot noch erfolgreicher zu machen und damit unsere Geschäftsaktivitäten weiter auszubauen. Daher optimieren wir sowohl unser Angebotsspektrum als auch die Prozesse derzeit an vielen Stellen.

Steffen Hoßfeld: Als Chief Operation Officer verantworte ich unter anderem die Bereiche Globale Produktion, Globale Finanzen und Globale IT. Wir durchlaufen gerade einen „Change-Prozess“ im Unternehmen, um noch nachhaltiger und effizienter zu wirtschaften, dem Kunden einen klaren Jumo-Nutzen zu liefern und gleichzeitig Erlöse und Ergebnisse zu steigern. Mit unserem neuen Werk vor den Toren Fuldas reagieren wir auf die Nachfrage in den Wachstumsmärkten. Da nehmen wir mit den veranschlagten rund 48 Millionen Euro sehr viel Geld in die Hand. Wir haben Ende 2013 das rund 100.000 Quadratmeter große Grundstück erworben. In der neuen Fertigungsstätte werden wir neben der Temperatursensorproduktion auch den kompletten Produktionsbereich für Druckmesstechnik sowie die dazugehörige Logistik unterbringen. So stellen wir uns für die Zukunft sicher auf.

Ein Unternehmen in Zeiten von Lieferengpässen und steigenden Rohstoffpreisen zu übernehmen, ist eine Herausforderung. Wie meistern Sie diese? 

Dimitrios Charisiadis: Wir setzen auf eine hohe Verfügbarkeit von Komponenten, solange es noch wirtschaftlich ist. Das heißt: Verfügbarkeit geht vor Preis. Unser Einkauf hat langjährige Erfahrung, sodass wir frühzeitig auf Marktveränderungen reagieren können. Forecast und langfristige Bestellungen bis zwei Jahre haben zuletzt zunehmend an Bedeutung gewonnen. 

Steffen Hoßfeld: Zudem lagern wir kritische Rohstoffe beziehungsweise Komponenten gezielt ein. Wir nutzen intensiv unsere Netzwerke, wie den Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) oder informieren uns auf Messen über die neuesten Trends. Zudem stimmen wir uns regelmäßig mit unseren Lieferanten ab. Dabei sind uns ein globales Lieferantennetzwerk und langjährige Partnerschaften wichtig. 

Apropos Rohstoffe: Mit welchen Maßnahmen reduziert Jumo seinen ökologischen Fußabdruck?

Steffen Hoßfeld: Als strategisches Ziel verfolgt Jumo bereits seit langem die Reduktion des CO2-Ausstoßes in der Produktion und den produktionsnahen Bereichen. Dieser Wert konnte in den vergangenen Jahren konstant gesenkt werden. Lag die jährliche CO2-Emission am Firmensitz in Fulda im Jahr 2013 noch bei rund 6.000 Tonnen, so ist sie im Jahr 2020 um über 30 Prozent auf knapp 4.000 Tonnen gesunken. Das liegt zum einen daran, dass in der Produktion bei Investitionen genau auf den Energieverbrauch der neuen Maschinen und Anlagen geachtet wird, zum anderen spielt aber auch der Bezug von Ökostrom über den regionalen Energieversorger eine große Rolle. Durch diese Abnahme der CO2-Emissionen und einem gleichzeitigen Anstieg der Produktionseinheiten ergibt sich allein für das Jahr 2020 eine CO2-Einsparung je Produktionseinheit von etwa 14 Prozent. 
Einen weiteren Beitrag zur Reduktion des CO2-Fußabdrucks leistet auch der Einsatz alternativer Energien, die bei Jumo selbst hergestellt werden. Schon 2014 wurde auf einem Gebäudedach in Fulda eine Photovoltaikanlage in Betrieb genommen. 416 Kollektoren sammeln auf einer Gesamtfläche von 677 Quadratmetern Sonnenenergie und wandeln diese in Strom für den Eigenverbrauch um. Die Leistung von 100 kW würde ausreichen, um 25 Einfamilienhäuser mit Strom zu versorgen. Weiterhin tragen zwei Blockheizkraftwerke mit einer Gesamtleistung von 90 kWel zu einem nachhaltigen Energieverbrauch bei. In unserem neuen Werk werden wir weitestgehend energieautark arbeiten.

Dimitrios Charisiadis: Diese Maßnahmen sind Teil einer Gesamtstrategie, mit der wir den explodierenden Energiekosten gezielt entgegenwirken und gleichzeitig einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten wollen. Kein Unternehmen kann es sich in der gegenwärtigen Situation leisten, Energie zu verschwenden und gleichzeitig Raubbau am Planeten Erde zu betreiben. 

Insgesamt bietet Jumo mit Blick auf Kosteneinsparungen und Nachhaltigkeit eine ganze Palette passender Produkte und Lösungen für unsere Kunden an. Nehmen wir hier als Beispiel unsere Leistungssteller, mit denen ein erheblicher Beitrag zur Energiewende geleistet werden kann. Leistungssteller sind enorm wichtig für die Industrie. Sie unterstützen die Transformation von fossiler zu elektrischer Energie. Mit ihnen kann man Leistung, wie Strom oder Spannung, variabel von 0 bis 100 % stellen. Typischerweise handelt es sich dabei um Thyristorleistungssteller, die funktionieren wie eine Art Dimmer. 

Der Fokus von Jumo liegt auf automatisierter Mess- & Sensortechnik. Was sind aktuell Schwerpunkte in F&E? 

Dimitrios Charisiadis: Wir fokussieren uns unter anderem auch auf digitale Schnittstellen, speziell die Technologie Single Pair Ethernet (SPE) wird mit Blick auf die automatisierte Fabrik der Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Ferner treiben wir die Digitalisierung der Sensoren und den Aufbau von Multisensoren voran und werden diesen Bereich ausbauen. Wir wollen uns als System- und Lösungsanbieter positionieren und dem Kunden einen Mehrwert auch durch neue Geschäftsmodelle liefern. Wir leben unseren Claim „More than Sensors + Automation“. 

Und welche Rolle spielt die Künstliche Intelligenz (KI) für Sie aktuell und zukünftig? 

Steffen Hoßfeld: Wir haben KI als strategisches Element in unseren Unternehmenszielen verankert. Mit KI optimieren wir unter anderem unsere internen Abläufe und Prozesse. Ferner können wir Lösungen für unser Kunden für bisherige technische Herausforderungen finden und damit einen Wettbewerbsvorteil für Jumo generieren. Unsere Systeme werden durch die KI die hohen Datenmengen und die hohe Komplexität leichter managen. Dadurch bieten wir unseren Kunden einen Wettbewerbsvorteil. Beispielsweise verfügen unsere Kunden über einen enormen Fundus an Daten, die ihren zukünftigen Erfolg darstellen. Hier sehen wir uns als zuverlässigen und vertrauensvollen Partner. 

Welche mittelfristigen Umsatzziele haben Sie sich gesteckt?

Dimitrios Charisiadis: Wir können und wollen hier keine konkrete Umsatzplanung offenlegen. Nur so viel: Wir wollen doppeltes Markwachstum in unseren Zielbranchen erreichen. 
Bernhard Juchheim: Das kräftige Wachstum sichert die Arbeitsplätze in Fulda und in der Region – und somit die langfristige Zukunftsfähigkeit der Jumo-Unternehmensgruppe. Ich blicke zufrieden auf mein Lebenswerk zurück, gleichzeitig sehr optimistisch in die Zukunft. Die nächsten 75 Jahre können kommen.

Autor
Anke Grytzka-Weinhold, Chefredakteurin messtec drives Automation

Kontakt

Jumo GmbH & Co. KG

Moritz-Juchheim-Straße 1
36039 Fulda
Deutschland

+49 661 6003 0

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