Bildverarbeitung

Schneller zur Serien­fertigung durch ­Computertomografie

CT-Prüfung in der Entwicklung und Herstellung von Kunststoffteilen

14.04.2020 -

Moderne Fahrzeuge bestehen zu über 50 Prozent aus Kunststoff. Das gleicht das Zusatzgewicht durch immer mehr Sicherheitssysteme zum Teil aus. Zudem war es nie wichtiger, Design, Qualität und Produktentwicklung sowie -optimierung einheitlich in einer digitalen Umgebung zu bewältigen. Durch die Integration der Teileprüfung und -analyse mit Computertomografie-Scansystemen (CT) können Hersteller von Kunststoffteilen für die Automobilindustrie die Wirtschaftlichkeit des Spritzgießens über direkte Kosten (Ausbeute, Geschwindigkeit, Arbeitsaufwand) verbessern und gleichzeitig dank besserer Qualitätssicherung die Garantie- und Serviceaufwendungen senken. Die Basis dafür bilden die vielfältigen Einblicke in typische Spritzgussdefekte wie Lufteinschlüsse, Porosität, Einfallstellen, Bindenähte, Deformationen und falsche Faserausrichtungen, die CT-Analyse-Software wie VGStudio Max von Volume Graphics liefert.

Herausforderung Spritzguss

Das Problem beim Spritzgießen ist, dass die Kunststoffteile so gut wie nie ohne Verzug oder Schwindung produziert werden können. Nicht nur, dass der Materialfluss zu einer ungleichmäßigen Wandstärke oder ungleichmäßigen Volumenverteilung im Gussteil führen kann. Auch beim Abkühlen wird das Gussteil schrumpfen, sich verziehen oder zurückfedern. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Sie reichen von werkstoffbedingter und damit gut einkalkulierbarer Schwindung über ungleichmäßiges Abkühlen bis zu ungewollter Interaktion zwischen Form und Gussteil, die sich negativ auf das Bauteil auswirken kann. Letztere basiert auf dem physikalisch bedingten unterschiedlichen Abkühlverhalten von Werkzeug und Bauteil.

Gleichzeitig experimentiert die Automobilindustrie auf der Suche nach leichteren und gleichzeitig stabileren Teilen mit dem Design der Kunststoffbauteile. Durch Hinzufügen von (beabsichtigten) Poren, Hohlräumen und Fasern werden neue Bauteile konstruiert, die leichter und leistungsfähiger sein sollen. Schlagworte wie Topologie-Optimierung, generatives Design und Leichtbau sind in aller Munde. Zudem ermöglicht es moderne Simulations-Software inzwischen auch Nicht-Spezialisten, klassische Bauteile zu optimieren. Dadurch verschärfen sich jedoch die traditionellen Herausforderungen bei der Arbeit mit Kunststoffen, zum Beispiel der Vorhersage von Schrumpfungsraten, dem Fließ- und Abkühlverhalten sowie das anschließende Überprüfen der Geometrie des finalen Bauteils.

Computertomografie misst ganze Baugruppen

Anders als herkömmliche Koordinatenmessmaschinen (KMM) oder optische Scanner hört die Computertomografie (CT) nicht bei Oberflächendaten von leicht zugänglichen Geometrien auf. Die CT ermöglicht das Prüfen komplexer, beispielsweise organischer Formen, schwer zugänglicher Oberflächen sowie das Messen innerhalb ganzer Baugruppen. Damit gibt sie tatsächlich einen vollständigen Einblick in deren Qualität.

Die gescannten Daten werden in die Analyse-Software importiert und mit dem CAD-Modell verglichen, wobei Abweichungen farbkodiert und damit gut erkennbar auf dem Bauteil dargestellt werden. Die dimensionale Kontrolle von Simulationsergebnissen kann helfen, den besten Parametersatz für das erste Werkzeug zu finden. Um Verzug und Schwindung während der Design- und Produktionsphase zu vermessen, werden alle Arten von Form- und Lage-Analysen unterstützt. Als Ausrichtungsmethoden stehen RPS-, 3-2-1-, Best-Fit-, sequenzielle sowie eine merkmalbasierte Ausrichtung zur Verfügung. Um Wandstärken eingehend zu analysieren, bietet die Software eine richtungsbasierte Analyse zur Berechnung des Abstandes gegenüberliegender Wände mit geringer Toleranz bei Winkelabweichungen und eine kugelbasierte Berechnung, die das Volumen mit maximal großen Kugeln füllt und auch bei komplexen Geometrien ein vollständiges Ergebnis liefert. Die Erstmusterprüfung von Abmessungen, Form und Lage werden durch die Fähigkeit ergänzt, Spritzgussdefekte wie Porosität, Einschlüsse oder auch Faserorientierung und -volumenanteile qualitativ und quantitativ auszu­werten. Die Ergebnisse von Porositätsanalysen und Faserorientierung lassen sich auf Volumennetze übertragen, um diese mit Simulationslösungen wie Digimat auszutauschen.

Eleganter und schneller: Virtuelles Referenzbauteil statt CAD

In der Praxis variieren in vielen Fällen die einzelnen Maße von Spritzgussbauteilen stark. Betroffen sind vor allem filigrane oder schlanke Bauteilkonstruktionen und weiche Werkstoffe. Aber große Maßabweichungen kommen auch in der Bemusterungsphase vor, wenn Formwerkzeuge mit hoher Kavitätenzahl – bis zu 128 Formnester sind keine Seltenheit – noch zu korrigieren sind. In diesen Fällen liegen die Maße weitab von denen des CAD-Modells, das dem Programmierer des Messplanes als Grundlage diente. Die Folge: Der Messplan passt nicht auf alle Bauteile. Die Software meldet fehlende Maße, oder die interne Messtechnik fängt die falschen Geometrieelemente, was zu Fehlmessungen führt. Bis alle Kavitäten die geforderten Ergebnisse lieferten, musste sich der Messtechniker bisher manuell ans Ziel klicken.

Mittlerweile gibt es elegantere und schnellere Wege. Wenn etwa der Verzug stets in derselben Richtung verläuft – was bei Vorserienteilen nicht ungewöhnlich ist – kann der Messtechniker mit der Softwarefunktion Golden Surface ein virtuelles Referenzbauteil erstellen. Dazu errechnet die Software aus den CT-Datensätzen einer bestimmten Anzahl Musterbauteile einen gemittelten Datensatz. Dieses virtuelle Referenzbauteil dient nun anstelle der CAD-Referenz als Basis für das Mess-Template. Der Vorteil davon ist, dass das Durchschnittsbauteil den Ist-Zustand einer Charge genauer abbildet als ein Einzelteil oder das CAD-Modell. Dadurch sinkt die Zahl der Fehlmessungen oder geht sogar gegen Null. Außerdem ist es möglich, mit lokalen Koordinatensystemen zu arbeiten oder den Scan selbst direkt zu bemaßen.

Stecker effizient und kostengünstig prüfen

Fahrzeuge sind voll von Steckverbindungen. Die kleinen und auf den ersten Blick unscheinbaren Teile haben es allerdings in sich: Die in der Regel aus einem Thermoplast hergestellten Steckergehäuse nehmen 30, 40, 50 Kontaktpins oder mehr auf. Die Toleranzen liegen oft im Bereich weniger hundertstel Millimeter, was sie zu einer besonderen Herausforderung für die Werkzeughersteller macht. Der Umstand, dass ein Geometrieelement sich häufig wiederholt, nämlich die einzelnen Metallpins, verleiht der Messaufgabe einen ganz besonderen Akzent. Da die Abstände aller Kontakte zu überprüfen sind, auch wenn es sich um 50 oder mehr handelt, wiederholt sich dieselbe Messaufgabe immer wieder.

Da jeder Klick am Ende eine Zeit und damit Kostenfrage ist, soll die Messaufgabe mit so wenig wie möglich auskommen. Funktionen zur automatisierten Auswertung spielen daher eine immer größere Rolle. Früher musste für jeden Pin ein Koordinatensystem festgelegt werden, um ihn einzeln zu vermessen – eine tagfüllende Aufgabe. Mit makrofähiger Software wie VGStudio Max ist das heute eine Angelegenheit von wenigen Minuten. Hinzu kommt, dass die Software die Einteilung der CT-Datensätze in Regions of Interest (ROI) erlaubt. So lassen sich die einzelnen Pins als ROI definieren und das Vermessen der darin enthaltenen Instanzen automatisieren. Um mehrere Kavitäten eines Steckers effizient zu analysieren, lassen sich die Messpläne und Analysen, etwa eine Fehleranalyse, Soll-Ist-Vergleiche oder eine Wanddickenanalyse, von einer Kavität in ein periodisches Kavitätenmuster kopieren und der Messprozess mittels Makros automatisieren.

Bauteile mit wiederkehrenden Elementen prüfen

Stecker sind nur ein Beispiel, wenn auch ein wichtiges. Auch andere Bauteile mit wiederkehrenden Geometrieelementen können auf diese Weise untersucht werden. Für die effiziente Prüfung einer hohen Zahl identischer Bauteile, wie sie beim Spritzgießen vorkommen, lassen sich Makros in einem Arbeitsgang auf mehrere identische Objekte in einer Szene anwenden. Und mehrere identische Teile in getrennten Dateien können effizient mittels Stapelverarbeitung analysiert werden. In der Praxis kommt diese Methode insbesondere in Inline-Szenarien zum Einsatz, in denen Bauteile bereits in der Produktion geprüft werden.

CT-Software statt Trial & Error

Das gefertigte Kunststoffbauteil soll dem CAD-Modell möglichst genau entsprechen, und das mit möglichst wenigen Iterationen. Doch gerade im Spritzguss ist das – wie bereits eingangs beschrieben – schwer. Damit stach die Werkzeugoptimierung bisher aus dem durchdigitalisierten Designprozess heraus. Die Regeln, wonach ein Spritzgussteil bzw. sein Werkzeug gestaltet werden muss, sind komplex. Wenn beides fertig konstruiert ist, bedeutet das noch lange nicht, dass der Kunststoffverarbeiter das Bauteil genauso am Ende des Herstellprozesses in der Hand hält. Oft bemüht der Werkzeugbauer daher einen Verfahrensingenieur. Doch eine zusätzliche Person führt zu weiterem Abstimmungsbedarf, da es nun eine weitere Korrekturschleife gibt.

Mithilfe der CT tritt eine Software-basierte Herangehensweise an die Stelle von Trial & Error. Die Werkzeugoptimierung mittels Software verbindet die Messtechnikabteilung mit dem Werkzeugbauer und bietet einen Weg, den Verzug zu berechnen und eine kompensierte Geometrie zu erstellen, um damit das Werkzeug zu optimieren. Die Fertigungsgeometriekorrektur analysiert die Abweichungen, um kompensierte Oberflächen für den Werkzeugmacher zu erzeugen. Durch das Addieren von Verformung und Schwindung lässt sich das Ergebnis nutzen, um die Information einer möglichen Werkzeugänderung einfach zu kommunizieren. Die Flächenkontrolle beinhaltet unter anderem eine Entformungs- und Krümmungsanalyse. Flächen können auch rekonstruiert und an die Scandaten oder Werkzeugdaten angepasst werden. Durch die Korrektur direkt in der Software sparen Unternehmen Kosten für das Erstellen bzw. Anpassen von Werkzeugen sowie Zeit, was wiederum die Markteinführung beschleunigt.

Nächster Schritt: Reverse Engineering

Doch was, wenn das CAD-Modell gar nicht (mehr) vorliegt? In der neuen Version 3.4 ermöglicht das Reverse-Engineering-Modul von Volume Graphics, CT-Scans in komplex geformte Oberflächen zu konvertieren, die sich dann in CAD-Systemen weiterverwenden lassen. Das ermöglicht es beispielsweise, CAD-Modelle für alte Bauteile zu erzeugen, von denen keine CAD-Informationen oder nur 2D-Zeichnungen vorliegen. Außerdem lassen sich dadurch Modelle aktualisieren, bei denen das tatsächliche Teil oder Werkzeug anders aussieht als das Master-CAD-Modell. Auch CAM-Systeme können damit in die Lage versetzt werden, auf CAD statt auf Netzen zu fräsen. Dabei erstellt das Reverse-Engineering-Modul ein Muster aus 4-seitigen Patches, das den Kanten und Hauptmerkmalen des Modells folgt. Das generierte Patch-Layout – allgemein als automatische Flächenrückführung bekannt – kann dann als STEP-Datei in jedes CAD-System exportiert werden.

Fazit: Vereinfachte und automatisierte Prozesse

Volume-Graphics-Software unterstützt viele Bereiche – von der Simulation über die Qualitätssicherung von Spritzgussteilen bis hin zur automatisierten Kontrolle. Doch die CT kann die Konstruktion (leichter) Kunststoffteile über die reine Qualitätssicherung hinaus unterstützen. Moderne CT-Analyse-Software vereinfacht die Interaktion zwischen Qualitätssicherungs- sowie CAD-, Simulations- und Fertigungsexperten, da sie die normalerweise langwierigen Diskussionen zwischen Teilekonstrukteuren und Werkzeugbauern, ob denn nun das Design oder das Werkzeug nachbearbeitet werden muss, auf eine rationale Basis stellt. Harte Fakten, die durch das Messen von Innenflächen gewonnen werden, beseitigen das Rätselraten und verkürzen Markteinführungszeiten.

Kontakt

Volume Graphics GmbH

Speyerer Straße 4 – 6
69115 Heidelberg
Deutschland

+49 6221 73920 60
+49 6221 73920 88

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