Engineering von Antriebssystemen
21.06.2011 -
Antriebe sind in Automatisierungssystemen zahlreich vorhanden. Sie besitzen meist eine hohe Funktionalität, was zu einem entsprechenden Aufwand bei der Projektierung und Inbetriebnahme führt. Durch neue Engineering-Konzepte und -Werkzeuge soll dieser Aufwand reduziert werden. Gibt es Werkzeuge, mit denen sich der gesamte Engineering-Prozess von der Dimensionierung und Auslegung von Antrieben über die Bestellung des Systems, die Projektierung bis zur Inbetriebnahme einfach bewerkstelligen lässt? Dazu hatte der VDMA auf der SPS/IPC/Drives 2010 zu einer Podiumsdiskussion eingeladen, die von Dr. Volker Oestreich von der messtec drives Automation moderiert wurde.
Automatisierungs- und Antriebsspezialisten stehen unter dem Druck immer kürzerer Time-to-Market-Zyklen. Das Anlagen-Engineering und die dafür zur Verfügung stehenden Software-Wekzeuge haben dabei eine technologische Schlüsselfunktion. Doch der zunehmende Funktionsumfang macht die Programmierung, Pflege und Wartung und auch die Bedienung der Software aufwändiger und komplexer. Kann ein leistungsfähiges Engineering Framework mit integrierten Motion-Control-Funktionen die Engineering-, Inbetriebnahme- und Servicekosten senken? Dieser Frage stellten sich fünf Experten von Baumüller, Danfoss, Lenze, SEW Eurodrive und Siemens. Auch wenn die prinzipielle Bedeutung und der Nutzen solcher Engineering-Werkzeuge außer Frage steht, gibt es in den Details durchaus kontroverse Meinungen.
Engineeringwerkzeuge werden nicht nur zunehmend den Inbetriebnahmeprozess von Einzelkomponenten unterstützen, sondern stärker das Gesamtkonzept im Zusammenspiel aller Komponenten in Betracht ziehen, meint Dr. Ulrich Strunz, Leiter Automation bei Baumüller Nürnberg. Der Trend zur Modularisierung von Maschinen und Anlagen lässt sich durch Konfiguration neuer Maschinen oder Maschinenvarianten aus vorgefertigten Funktionsblöcken abbilden. Die Ankopplung von ECAD-Werkzeugen und eine Einbindung in die Unternehmensprozesse durch direkte Stücklistengenerierung für Hard- und Software ermöglichen eine Reduzierung von Schnittstellenverlusten bei gleichzeitiger Steigerung von Flexibilität und Durchsatz. Maschinenmodule können somit nach kunden- und fertigungsoptimalen Gesichtspunkten geplant und produziert werden.
Etwas skeptischer sieht das Hans-Josef Mennen, Manager Application Software bei Danfoss VLT Drives. Der Bogen von der Einspeisung der Energieform bis hin zur sich drehenden Welle vereint sehr viele Facetten. Jede dieser Aspekte für sich genommen stellt schon eine sehr komplexe Thematik dar - beispielsweise die Netzeinspeisung mit Netzrückwirkungen. Das macht ein allumfassendes Werkzeug sehr komplex. Zum anderen ist es äußerst wichtig für den Planer, den Überblick über seine Aufgabe zu behalten. Unbestritten sollte er dabei Unterstützung finden, aber sich nicht völlig davon abhängig oder gar hörig machen. Der Planer ist letztlich der Implementierer, der die einzelnen Komponenten (auch verschiedener Lieferanten) zusammenführt und darauf seine Anwendung abbildet.
Diesen Aspekt betont auch Dr.-Ing. Meinhard Schumacher, Product Management AC-Drives bei SEW Eurodrive. Natürlich kommt der Ingenieur ohne moderne Informationstechnologie heute nicht mehr aus; er benutzt normalerweise die modernsten ihm zur Verfügung stehenden Instrumente zur Verbesserung und Beschleunigung seiner Arbeit. Dennoch bleibt entscheidend, die Ergebnisse seiner Arbeit kontrollieren und interpretieren zu können. Ob die Zahlen und Parameter, die die Software ermittelt, in der Praxis auch tatsächlich korrekt sind, hängt stark von den getroffenen Randbedingungen und Annahmen ab. Selbst das beste Expertensystem kann aber die Richtigkeit der Voraussetzungen für die Projektierung niemals hundertprozentig sicherstellen. Das IT-System muss deshalb so transparent sein, dass eine Kontrolle der Ergebnisse zur Überprüfung der Plausibilität jederzeit möglich ist.
Optimistisch geht Frank Lorch, Leiter Strategisches Marketing von Lenze, das Thema an. Das Engineering von Antriebssystemen gewinnt seit Jahren an Bedeutung für den Maschinenbauer, aber auch für die Betreiber von Anlagen und Maschinen. Waren die Herausforderungen an das Engineering von Antriebssystemen noch vor 10 Jahren vor allem durch die enorme Zunahme von Antriebsfunktionen (Stichwort MotionControl) und die Integration kompletter Steuerungen in den Antriebsregler geprägt, ist heute Durchgängigkeit das entscheidende Schlagwort: Es gilt, das gesamte Engineering für Maschinen und Anlagen von der Planungs- bis hin zur Betriebsphase durchgängig zu gestalten - und dadurch deutlich zu vereinfachen. Konkret geht es dabei darum, den Anwendern Werkzeuge und Datenmodelle zur Verfügung zu stellen, mit denen sie das Antriebssystem planen, konstruieren, programmieren, in Betrieb nehmen und schließlich nutzen können. Hinzu kommt die immer leistungsstärkere Visualisierung, die zum einen die Bedienung vereinfacht und zum anderen verbesserte Diagnosemöglichkeiten bietet.
Die Durchgängigkeit betont auch Klaus Pache, Leiter Systemmanagement bei der Drive Technologies Division des Siemens Industry Sector. Durch den steigenden Funktionsumfang der Geräte ist der Anwender auf eine gute Unterstützung durch ein geeignetes Inbetriebnahmewerkzeug angewiesen. Außerdem findet immer häufiger eine Einbindung der Antriebe in eine Automatisierungslösung statt. Deshalb ist neben der Inbetriebnahme und Diagnose der Antriebstechnik auch das Augenmerk auf die Interaktion mit den Werkzeugen z.B. von SPS oder Bedien- und Beobachtungsgeräten zu lenken. Engineeringwerkzeuge sorgen für kurze Inbetriebnahmezeiten und ermöglichen im Fehlerfall eine eindeutige Diagnose der gesamten Anlage. Aber auch die einfache Erlernbarkeit sowie eine problemlose Installation und Wartung zeichnen gute Engineeringwerkzeuge aus. Auch im Hinblick auf die energietechnische Optimierung der Anlage sind sie unverzichtbar. Sie sorgen bereits bei der Auswahl der Automatisierungskomponenten, der für den jeweiligen Anwendungsfall bestmöglichen Parametrierung und der übersichtlichen Darstellung des Energieverbrauchs für niedrige Betriebskosten.
Es bewegt sich also einiges beim Engineering von Antriebssystemen. Die bevorstehende Hannover Messe mit ihrer Leitmesse MDA ~ Motion, Drive & Automation wird die neuesten Weiterentwicklungen und Trends aufzeigen.