Automatisierung

Die Zukunft des Geräteschutzes

Mechanik versus Elektronik

14.10.2015 -

Schutz vor Überstrom und Kurzschluss in elektrischen Erzeugungs- und Verteilnetzen ist seit Edison und Tesla eine Domäne elektromechanischer Geräte. Die technologischen Fortschritte im Bereich der Leistungselektronik machen es möglich, elektrische Kontakte in vielen Applikationen durch halbleitende Festkörper-Schichten zu ersetzen. Aufgrund dieser Tatsache stellt sich die Frage, ob der elektrische Kontakt in absehbarer Zeit durch alternative Technologien abgelöst wird?

Ein Schutzgerät für ein elektrisches System besteht aus sechs Funktionsblöcken:
• Schaltelement (zum Zuschalten und Unterbrechen des Energieflusses),
• Signalerfassung (im Normalfall der Strom, aber auch zum Beispiel Spannung oder Temperatur; es können auch mehrere N -Signale sein),
• Signalverarbeitung (zur Umwandlung des gemessenen Signals in M verwertbare Informationen über den Systemzustand) plus Schnittstelle (BUS, WLAN),
• Aktuator (zum Aktivieren des Schaltelementes bei gefährlichen Systemzuständen),
• Energiespeicher (zum Speichern von Aktivierungs-Energie für das Schaltelement),
• Betätigungselement (zum Zuschalten und Unterbrechen des Energieflusses unabhängig vom Zustand des zu schützenden elektrischen Systems).

Es soll nun darum gehen, die Vor- und Nachteile existierender Technologien für elektrische Schutzgeräte zu verstehen. Dabei werden die international genormten Abkürzungen für Geräteschutzschalter (GS) [EN-60934] verwendet.

Auslöseart   Kurzzeichen
thermisch   TO thermal only
thermisch-magnetisch  TM thermal magnetic
magnetisch   MO magnetic only
hydraulisch-magnetisch  HM hydraulic magnetic
elektronisch-hybrid   EM electronic mechanical
elektronisch   EO electronic only 


Konventionell mechanisch
Bei mechanischen Schutzgeräten kommen hauptsächlich zwei physikalische Grundprinzipien zur Erzeugung einer stromabhängigen Auslösekraft zum Einsatz. Zum einen die Umwandlung der vom Stromfluss erzeugten Wärmeenergie in eine mechanische Bewegung (Beispiele: Thermobimetall, Dehndraht, Memory-Metall) und zum anderen die Erzeugung einer mechanischen Bewegung durch das magnetische Feld, das durch den Stromfluss hervorgerufen wird (Beispiele: Magnetspule, permanenterregter Magnetkreis, Elektromotor). Der Stromfluss erzeugt also direkt eine mechanische Kraft, welche für die Auslösung sorgt. Die notwendige Auslösekraft ist abhängig von der Kontaktkraft und von der Reibungskraft im Schaltschloss. Dabei gilt: Je höher der Nennstrom ist, desto höher die notwendige Auslösekraft.
Im Falle eines Überstroms oder eines Kurzschlussstromes aktiviert die erhöhte Energiezufuhr das Auslösesystem und öffnet das Schaltschloss. Dies öffnet die Kontakte. Überschreiten Strom und Spannung bestimmte Grenzwerte, entsteht zwischen den sich auseinander bewegenden Kontaktstücken ein Lichtbogen. Diesen gilt es, mit geeigneten Mitteln (Löschbleche, magnetische Beblasung, Ausgasung von Isolierstoffen) möglichst schnell zu löschen. Die Gesamtauslösezeit bis zum Unterbrechen des Stromes ergibt sich aus Bewegungsdauer des Aktuators, der Eigenzeit der Mechanik und Lichtbogendauer.
Bei strombegrenzend wirkenden Schaltgeräten [EN-60898] wird der Strom durch sehr schnelle magnetische Auslösesysteme mittels Schlaganker und durch schnelle Aufweitung und Unterteilung des Lichtbogens in  Löschkammern auf Werte begrenzt, die weit unterhalb des prospektiven zu erwartenden Kurzschlussstromes liegen. Bei Gleichstrom werden oft noch Dauermagnete zur beschleunigten Bewegung des Lichtbogens in die Löschkammer eingesetzt. Die umgesetzte Energie stellt eine große thermische Belastung des Schaltgerätes dar und kann bei Versagen eines Teils des Löschsystems zur Zerstörung des Schaltgerätes führen.

Intelligent elektronisch
Bei elektronischen Schutzgeräten hängt die Stromzeitkennlinie für das Abschaltverhalten im Wesentlichen davon ab, wie schnell sich die Ladungsträgerkonzentration in der leitenden Schicht des Halbleiters auf Null bringen lässt. Dies geschieht innerhalb weniger μ-Sekunden.
Die Gesamtauslösezeit wird daher im Wesentlichen davon bestimmt, wie lange die Auswerteelektronik benötigt, das Steuersignal zu erzeugen. Im Überlastbereich der Kennlinie ist das kein Problem. Die Abschaltzeiten liegen im Sekundenbereich und werden durch entsprechende Beschaltung beziehungsweise Programmierung der Auswerteelektronik bestimmt. Bei reinen Halbleiterschaltern wird der Strom im Kurzschlussfall auf Werte unterhalb der thermischen Belastungsgrenze des PN-Übergangs begrenzt. Das heißt ist die Stromquelle sehr niederohmig, wird der Hauptstrompfad sofort im Bereich von wenigen μ-Sekunden hochohmig und der prospektive Kurzschlussstrom kommt nicht zum Fließen.
Die beiden wichtigsten Halbleiter-Bausteine für das Schalten von Gleichspannungen sind MOSFETs  und die daraus weiterentwickelten IGBTs . Heute sind sehr niedrige ON-Widerstände bei Super-Junction-MOSFETs m Bereich von 30 Milli-Ohm realisierbar und IBGTs sind für Sperr-Spannungen von weit über 1.000 V erhältlich. Für AC-Applikationen kommen auch Thyristoren, GTOs  und TRIACs  zum Einsatz. Allerdings benötigen elektronische Schutzgeräte immer Maßnahmen zum Schutz vor elektromagnetischen Störungen.
Die technischen Vorteile mechanischer Schutzgeräten sind primär der niedrige Widerstand im Ein-Zustand und die galvanische Trennung im Aus-Zustand. Elektronische Lösungen schalten lichtbogen- und damit verschleißfrei und sehr schnell. Die Zusammenführung beider Technologien führt zu sogenannten hybriden Schutzgeräten. Diese kombinieren die Vorteile beider ohne alle Nachteile zu übernehmen. Eine Elektronik parallel zu einem ersten Kontakt übernimmt der Strom sehr schnell und schaltet lichtbogenfrei ab. Ein elektrisch in Reihe geschalteter zweiter Kontakt stellt die galvanische Trennung sicher.

Und in Zukunft?
Bislang dominieren bei Schutzschaltern noch mechanische Technologien. Dies gilt vor allem, weil bei vergleichbarer Baugröße die Verlustleistung geringer ist. Zudem bieten sie galvanische Trennung und bleiben von elektromagnetischen Störungen unbeeinflusst. Doch gerade die Kombination aus Elektronik und Mechanik in einem Gerät bietet die Chance, die Vorteile beider Prinzipien wirkungsvoll zu nutzen. Elektronische Komponenten schalten praktisch trägheitslos. Eine aktive Strombegrenzung stellt die selektive Abschaltung unter allen Betriebsbedingungen sicher. Dabei ist der Schutz von Schaltnetzteilen in der Anlagentechnik eine typische Anwendung für EM- und EO-Geräte.
Für Bordnetze mit DC 12 V oder 24 V werden schon heute busgesteuerte rein elektronische (EO) Systeme eingesetzt, die den Verkabelungsaufwand reduzieren. Ein Bildschirm visualisiert den aktuellen Zustand der gesamten Bord­Elektrik und steuert über Touch-Funktionen. Bei Ausfall der Leistungselektronik übernimmt ein parallel geschaltetes TO-Gerät den Schutz der Anlage. Auch zum Schalten hoher Gleichspannungen in Elektrofahrzeugen und PV-Anlagen lassen sich durch die technologische Weiterentwicklung auf dem Gebiet der Leistungshalbleiter mit dem EM-Prinzip sichere Lösungen in kompakter Bauweise realisieren.
Wenn wir nach vorne blicken und komplexe Systeme mit stark nichtlinearen Komponenten betrachten, so stehen Signalverarbeitung in Echtzeit, sehr schnelle Reaktionszeiten der Schaltgeräte, vorausschauende Schätzung des Systemzustandes im Vordergrund innovativer Schutzgeräte.
Die Zukunft des Geräteschutzes liegt also mit hoher Wahrscheinlichkeit in dem elektronisch-hybriden Prinzip und damit werden auch elektrische Kontakte in absehbarer Zeit nicht substituiert.

Kontakt

E-T-A Elektrotechnische Apparate GmbH

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